17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
hast du nicht gehört.“
„Oho! Alles habe ich gehört, alles! Grad weil ich es nicht hören sollte, habe ich gelauscht. Ich bin nämlich klug, sehr klug, und meine Schwester auch, die drin am Feuer sitzt.“
„Darf ich sie einmal sehen?“
„Nein.“
„Warum denn nicht?“
„Weil sie sich vor Fremden fürchtet. Sie reißt vor ihnen aus.“
„Vor mir braucht sie nicht auszureißen. Wenn ich sie einmal sehen darf, gebe ich dir fünfzehn Piaster.“
„Fünf – zehn – Pi – aster!“ wiederholte er. „Ich werde sie gleich rufen und –“
„Nein, nicht rufen! Ich komme hinein.“
Dieser eigentümliche Kerl wußte vielleicht grad das, was ich von ihm erfahren wollte. Ich sprang schnell, um ihm keine Zeit zu lassen, sich anders zu besinnen, aus dem Sattel und schob ihn zur Tür hinein. Dann folgte ich nach.
Welch ein Loch hatte ich betreten! Die Hütte war nur aus Lehm und Stroh errichtet, und aus Stroh bestand auch das halbe Dach. Die andere Hälfte desselben bestand – aus dem Himmel, welcher von oben frei hereinblickte. Das Dachstroh war verfault und hing in feuchten Fetzen herab. Zwei Steine bildeten den Herd, auf welchem das Feuer brannte. Über demselben stand auf einem dritten Stein ein großer Tontopf, von welchem aber die obere Hälfte fehlte. Das Wasser kochte, und aus demselben sahen zwei nackte Beine hervor, Beine von einem Tier. Ein Mädchen stand dabei und rührte mit dem Stiel einer zerbrochenen Peitsche in dem Topf herum. Zwei Lagerstätten, wieder aus verfaultem Stroh, bildeten das einzige Hausgerät.
Und die Insassen erst! Der Hirt war wirklich eine Art Kretin. Sein dünner Leib steckte in einer Hose, von welcher ein Bein ganz und das andere halb fehlte. Um den Unterleib hatte er ein Tuch gebunden. Der Oberleib war unbedeckt, das heißt, wenn man den Schmutz, welcher eine dicke Kruste bildete, nicht mit zur Kleidung rechnet. Sein übergroßer Kopf hatte ein wunderbar kleines Erbsennäschen, einen meilenbreiten Mund, blaue Wangen und ein Paar ganz unbeschreibliche Äuglein. Die Krone, welche dieses Haupt schmückte, bestand aus einer Haarwildnis, welche jeder Beschreibung spottete.
Ihm ganz ähnlich sah sein Schwesterlein aus, deren Kleidung ebenso unzureichend war wie die seinige. Der einzige Unterschied zwischen ihm und ihr bestand darin, daß sie einen sehr mißlungenen Versuch gemacht hatte, ihre Haarsträhnen in einen Zopf zusammenzuwürgen.
Als sie mich erblickte, schrie sie laut auf, warf den Peitschenstiel fort, eilte nach dem einen Lager und kroch so tief unter das faule Stroh desselben hinein, daß nur noch die kohlschwarzen Füße aus demselben hervorsahen.
Das Herz tat mir weh. Das waren nun auch Menschen!
„Reiß doch nicht aus, Jaschka!“ sagte ihr Bruder. „Dieser Herr gibt uns fünfzehn Piaster.“
„Es ist nicht wahr!“ antwortete sie unter dem Stroh hervor.
„Freilich ist's wahr.“
„Laß dir sie nur geben, aber gleich!“
„Ja, Herr, gib mir sie!“ sagte er zu mir.
„Wenn Jaschka hervorkommt, so gebe ich euch sogar zwanzig.“
„Zwa-zwa-zwanzig! Jaschka, komm heraus!“
„Er mag sie nur erst geben! Ich glaub' es nicht. Bis zwanzig kann gar keiner zählen; er auch nicht!“
Ich griff in die Tasche und gab ihm die genannte Summe in die Hand. Er tat einen Freudensprung, stieß einen Ruf des Entzückens aus, packte seine Schwester und zog sie bis zu mir hin. Dort gab er ihr das Geld in die Hände. Sie sah es an, sprang auf, ergriff meine Hand, küßte dieselbe und – suchte dann ihren Peitschenstiel, um mit demselben wieder im Topf herumzurühren.
„Was kocht ihr denn da?“ fragte ich.
Hätte nicht die Hälfte des Daches gefehlt, so wäre es in der Hütte nicht auszuhalten gewesen, zumal der Inhalt des Topfes einen Gestank verbreitete, welcher zum Entsetzen war.
„Aw (Wildbret)“, antwortete er, indem er wie ein Gourmand mit der Zunge schnalzte.
„Aw? – Was für ein Tier?“
„Kipr (Igel), ein Kipr ist's, den ich vorgestern gefangen habe.“
„Und den eßt ihr?“
„Freilich! Kipr ist ja die größte Nazika (Delikatesse), die es nur geben kann. Sieh dir ihn einmal an! Wenn du ein Stück haben willst, so sollst du es gern bekommen, denn du hast uns so unmenschlich viel Geld gegeben. Ja, ich gebe es dir sehr gern, und meine Schwester auch, die da am Feuer steht.“
Ich ergriff das ‚Wildbret‘ beim Bein und zog es empor. Hurrrr! Die lieben Leute hatten dem Tier zwar die Stachelhaut abgezogen, es aber nicht
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