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17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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es verstanden, mich für die kaukasischen Idiome zu interessieren, und ich hielt es, wie das meine Art und Weise stets ist, für am vorteilhaftesten, meine Studien nicht daheim, sondern an Ort und Stelle zu machen. Wie sich von selbst versteht, wohnte ich in Damaskus nicht in einem Gasthaus, sondern ich war auf der ‚geraden Straße‘ bei Jakub Afarah abgestiegen und mit großer Freude aufgenommen worden. Damals hatte ich nicht Zeit gefunden, die Umgebung von Damaskus eingehend kennenzulernen, und so bestrebte ich mich denn jetzt, dieses Versäumnis nachzuholen. Ich machte täglich einen Ausflug und war bald so weit herumgekommen, daß ich nur noch den im Norden der Stadt gelegenen Dschebel Kassium zu besuchen hatte. Dieser Berg ist darum merkwürdig, weil dort nach der morgenländischen Erzählung Kain seinen Bruder Abel erschlagen haben soll.
    Ich unternahm diesen Spaziergang ganz allein, um den Anblick der prächtigen Stadt ganz ungestört auf mich wirken zu lassen. Es war noch sehr früh am Tag, und so durfte ich hoffen, nicht belästigt zu werden. Aber als ich auf der Höhe ankam, sah ich, daß ich heute nicht der erste Besucher auf derselben war. Ich erblickte einen jungen Hammar (Eselstreiber), welcher im Grase neben seinem Tier lag, und als ich um einige Olivenbüsche bog, sah ich auch den Mann, den der Esel heraufgetragen hatte. Er wendete mir den Rücken zu, seiner Kleidung nach mußte er ein Europäer sein, da unmöglich ein Eingeborener in so einem Anzug stecken konnte.
    Ein hoher, grauer Zylinderhut saß auf einem langen, schmalen Kopf, welcher in Beziehung auf den Haarwuchs noch öder als die Sahara war. Der dürre, bloße Hals ragte aus einem sehr breiten, umgelegten und tadellos geplätteten Hemdenkragen hervor; dann kam ein graukarierter Rock, eine graukarierte Hose, und auch die Gamaschen waren graukariert. Ich sah ihn, wie gesagt, von hinten, konnte aber darauf schwören, daß er auch einen graukarierten Schlips und eine graukarierte Weste trug. Über dem Schlips gab es dann ein langes, dünnes Kinn, einen breiten, dünnlippigen Mund, noch höher hinauf eine Nase, die einmal mit einer riesigen Aleppobeule behaftet gewesen war. Das wußte ich ganz genau, denn ich kannte diesen Mann, der so in sich versunken war, daß er mein Kommen gar nicht gehört hatte.
    Ich stieg aus dem Sattel, schlich mich zu ihm hin, legte ihm von hinten her beide Hände auf die Augen und sagte mit verstellter Stimme: „Mr. David Lindsay, who is there – wer ist da?“
    Er schrak ein wenig zusammen und nannte dann einige englische Namen, jedenfalls von ihm bekannte Personen, welche sich gegenwärtig in Damaskus befanden. Darauf rief ich mit meiner wirklichen Stimme:
    „Falsch geraten, Sir! Wollen sehen, ob Ihr mich nun erkennt.“
    Da antwortete er augenblicklich:
    „All devils! Wenn das nicht dieser armselige Kara Ben Nemsi ist, der einen Rapphengst verschenkt hat, anstatt ihn an mich zu verkaufen, so will ich auf der Stelle gleich selbst ein Rappe sein!“
    Er machte sich von meinen Händen frei und drehte sich nach mir um. Seine Augen richteten sich groß auf mich; sein Mund zog sich von einem Ohrläppchen zum andern, und seine bekannte, lange Nase geriet in eine unbeschreibliche Bewegung.
    „Richtig, richtig, ganz richtig!“ stieß er dann hervor. „Er ist's wirklich, dieser Mensch, der keinen Pfennig von mir angenommen hat, obgleich ich ihm so viel zu verdanken habe! Kommt an mein Herz, Sir! Ich muß Euch an meinen Busen drücken!“
    Er schlang die langen Arme wie ein Polyp um mich, quetschte mich fünf-, sechsmal an seine vordere Seite und legte dann – have care! – seinen sich fürchterlich zuspitzenden Mund auf den meinigen, was er nur dadurch fertig brachte, daß er seine Nase eine sehr resolute Seitenschwenkung machen ließ. Dann schob er mich wieder von sich ab und fragte mit frohleuchtenden Augen:
    „Mann, Mensch, Kerl, Herzensfreund, wie kommt denn Ihr grad jetzt in diese Gegend, und auf diesen Berg herauf? Ich bin ganz außer mir vor Freude und Erstaunen. Habt Ihr etwa doch meinen Brief bekommen?“
    „Welchen Brief, Sir?“
    „Von Triest aus. Forderte Euch auf, dorthin zu kommen und mit mir nach Kairo zu fahren.“
    „Habe keinen Brief erhalten. War gar nicht daheim.“
    „Also Zufall? Der reine Zufall? Seit wann treibt Ihr Euch denn hier herum?“
    „Seit schon elf Tagen.“
    „Bei mir sind's nur erst vier. Morgen geht's wieder fort. Wo wollt Ihr denn von hier hin?“
    „Nach dem

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