170 - Logbuch der Hölle
haben mußte. Segelschiffe, mit geborstenen Masten, zerfetzten Segeln und lose baumelndem Tauwerk, Passagierschiffe, Segelboote - einmal glaubte Parker allen Ernstes, in der Ferne die Umrisse eines jahrtausendealten phönizischen Schiffes ausgemacht zu haben.
„Ein Schiffsfriedhof!" schrie Carina auf und starrte aus weit auf gerissenen Augen
El Muerto
an. „Er hat uns zu einem Schiffsfriedhof geführt!"
Parker hatte niemals etwas davon gehört, daß es so etwas überhaupt gab. All diese Schiffe waren gesunken - im Sturm oder aus was für Gründen auch immer. Und jetzt tauchten sie wieder aus der Tiefe des Meeres auf.
Parker sah auf die Uhr.
In der Tat - wenn er sich nicht verrechnet hatte, dann war jetzt jener Punkt auf der Karte erreicht, der das Ziel des Unternehmens war. Dies war die Magie, die sich hier manifestierte… „Ich habe davon reden hören", murmelte Paco kaum hörbar hinter vorgehaltener Hand. „Einmal im Jahrhundert steigen hier die verfluchten Schiffe wieder an die Oberfläche. Nur eine Stunde lang, dann versinken sie wieder im nassen Grab."
„Und wir mit ihnen, wenn wir nichts unternehmen", stieß Mondejo hervor.
Chalmers hatte sich über die Reling gelegt und „opferte den Fischen", wie man den Vorgang üblicherweise umschrieb.
„Weg von hier!" stieß Linnero hervor. „Nichts wie weg, bevor wir mit diesen Satansschiffen absaufen."
Seit dem Auftauchen waren knapp fünf Minuten vergangen, stellte Parker nach einem raschen Blick auf die Uhr fest.
Er wechselte einen raschen Blick mit Unga.
„Ich werde mir das Geisterschiff einmal aus der Nähe ansehen", sagte Jeff Parker energisch. „Wer kommt mit?"
Niemand antwortete auf die Frage. Nur Paco nickte langsam.
Zufall? Von der Backbordseite der SAO PAULO hing eine Gangway herab, wahrscheinlich dazu gedacht, einen Anlegeplatz für Barkassen zu bilden. Die unterste Stufe war nur zwei Dutzend Meter von der ESTRELLA DEL SUR entfernt, und das Boot bewegte sich genau darauf zu.
Parker griff nach einem Tau. Sobald die Gangway erreicht war, stieg er hinüber. Das Eisen war dunkel und tangbewachsen, Parker hatte Mühe, sich darauf festzuhalten. Dennoch schaffte er es, die ESTRELLA DEL SUR an der Gangway zu vertäuen.
Einen Augenblick lang hielt Parker den Atem an: Weder der Motor noch die Segel hatten es fertiggebracht, etwas der Eigenbewegung der ESTRELLA DEL SUR zu ändern. Würde es diesmal anders sein?
Die ESTRELLA DEL SUR blieb gehorsam an der Seite des Schlachtschiffs liegen. Die SAO PAULO selbst schien keine Fahrt zu machen, jedenfalls war keine Bugwelle zu sehen. Vorsichtig kletterten die drei Männer die Gangway hinauf - Parker als erster, dann Unga, zuletzt Paco. Parker warf einen Blick auf die ESTRELLA DEL SUR.
El Muerto
saß noch immer vor dem Großmast; er schien die Szenerie keines Blickes zu würdigen. Sollte dieser gespenstische Schiffsfriedhof nicht das Ziel seiner Reise sein?
Das Deck der SAO PAULO war leer. Es waren keine Menschen zu sehen. Auf dem bewachsenen Metall lagen einige Fische, die sich nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit hatten bringen können. Ihre zuckenden Leiber tanzten auf dem schlüpfrigen Boden.
„Kein äußerer Schaden erkennbar", stellte Parker fest. „Aus welchem Grund mag die SAO PAULO gesunken sein?"
Er stieg die Leitern zum Kommandostand hinauf. Auch dort war nichts zu finden - die Lichter brannten, das Rad des Rudergängers bewegte sich sacht hin und her, alles war feucht, modrig, von Schlick und Algen bedeckt. Mehr war nicht zu sehen.
Tam-ta-tam-tam tam-tam…
Parker schrak zusammen. Auch Ungas Augen weiteten sich. Paco schlug das Kreuz.
Der unverkennbare Rhythmus von
El Muerto.
Er schien aus den Tiefen des Schiffes zu kommen. Die drei Männer sahen sich an. Paco, dessen Gesicht so weiß geworden war wie seine Haare, schüttelte mit flehendem Gesichtsausdruck den Kopf. Parker nickte. Er winkte Unga zu.
Die beiden stiegen in das Innere des Schiffes.
Selbst ein abgebrühter Mann wie Jeff Parker mußte bei diesem Marsch alle Kraft aufbieten, um seiner Furcht Herr zu werden, und auch der nervenstarke Unga wirkte angespannt.
Immer dem Geräusch nach, tiefer und tiefer hinein in die SAO PAULO. Ein Schlachtschiff dieser Größe war eigentlich gar kein Schiff mehr, vielmehr eine kleine, schwimmende Stadt. Hätten die beiden Männer bei ihrem Vordringen nicht auf dem Boden überdeutliche Spuren hinterlassen, hätte sie sich schwerlich in dieses Labyrinth von Gängen, Räumen und Treppen gewagt
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