1704 - Teuflische Abrechnung
ihren Mann an. Er hatte sich verändert. Zumindest sein Gesichtsausdruck. Er sah überanstrengt aus, sogar leicht verzerrt. Die Augen schauten nicht mehr, sie glotzten, und er wischte hektisch über sein Gesicht.
»Himmel, was ist denn los mit dir?«
Tanner stützte sich an dem Tisch ab, auf dem das Glas und die Flasche standen. Er musste mehrmals durchatmen, bis er es schaffte, eine Antwort zu geben.
»Es ist verdammt nicht einfach zu erklären und auch kaum zu glauben. Aber ich habe tatsächlich Besuch bekommen, und das waren keine normalen Menschen. Es waren Geister, feinstoffliche Wesen oder wie auch immer. Ja, so ist das gewesen.«
Kate Tanner blieb der Mund vor Staunen offen. »Nein«, flüsterte sie, »das kann ich nicht glauben.«
»Es ist aber so.«
»Und – und – wie ist das möglich?« Sie räusperte sich. »Was hast du gesehen? Willst du es mir nicht sagen?«
»Doch, jetzt schon.« Tanner wollte nicht mehr stehen. Er setzte sich in seinen Sessel. Dort fühlte er sich wohler, fand nach einer Weile die richtigen Worte und fing an zu sprechen.
Kate trat dicht an den Sessel heran. Sie stützte sich auf der Rückenlehne ab. Mit keinem Wort unterbrach sie ihren Mann.
Und sie vernahm das Unwahrscheinliche, wobei sie ebenfalls ein Schauer überfiel. Und als ihr Mann endlich schwieg, da wusste sie auch nicht, was sie antworten sollte.
»Jetzt weißt du alles. Eine andere Macht will mich zu einem Mörder machen. Wenn ich dem nicht folge, ist mein Leben verwirkt und man wird mich umbringen.«
»Ja, das habe ich gehört.« Sie strich ihrem Mann über den Kopf.
»Das ist natürlich eine furchtbare Situation, und wir müssen überlegen, was wir tun können.«
»Sicher.«
»Hast du eine Idee?«
Tanner grinste schief. »Du vielleicht?«
»Ja. Und sie hat einen Namen.«
»John Sinclair?«
Kate Tanner nickte. »Genau der …«
***
Wenn ich aus dem Fenster schaute, sah ich alles andere als einen Bilderbuchmorgen. Es war windig geworden, und der Wind trieb die Schneeflocken wie einen nie abreißenden Vorhang schräg von Westen nach Osten. Es schneite mal wieder. In diesem Jahr sogar ziemlich früh.
Dieses Bild sah ich nicht vom Bürofenster aus, sondern von dem in meiner Wohnung, und automatisch kam mir der Gedanke an die Fahrt ins Büro. Mit dem Auto würde es bei diesem Wetter eine Nervenprobe werden, der ich mich nicht unbedingt aussetzen wollte.
Da gab es dann nur die U-Bahn, die gute alte Tube. Als sich das Telefon meldete, wusste ich sofort, wer mich da sprechen wollte. Ich hob trotzdem ab.
»Hast du schon mal aus dem Fenster geschaut, John?«
»Bin dabei.«
Ich musste lachen, als ich Suko fragen hörte: »Und? Möchtest du gern fahren?«
»Bestimmt nicht.«
»Dann lassen wir uns also fahren.«
»Nichts dagegen, ich bin in ein paar Minuten bei euch.«
»Bis dann.«
Ich hatte noch nicht gefrühstückt. Zwar bin ich ein großer Frühstücksfan, aber nicht, wenn ich es eilig habe. Ich aß eine Banane, die sättigte, und trank noch einen Schluck Milch, damit mein Magen etwas zum Arbeiten hatte.
Bei dem Begriff Arbeit dachte ich an den vor uns liegenden Tag. Der letzte Fall hatte sich in einer einzigen Nacht abgespielt, und ich konnte nicht eben behaupten, dass ich begeistert davon gewesen war.
Da hatte die Vampirin Justine Cavallo eines ihrer bösesten Gesichter gezeigt, zwei Frauen zu Vampiren gemacht und sie diesmal nicht getötet, sondern sie auf eine Partyszene losgelassen hatte.
Ein böser und unangenehmer Fall, der die Cavallo von ihrer echten Seite gezeigt hatte. Sie hatte es verstanden, Jane Collins und mich zu ihrem Spielball zu machen.
Der Fall war erledigt, aber ich hatte ihn nicht aus meinem Gedächtnis gestrichen und Jane Collins ebenfalls nicht.
Das lag zurück. Das Geschehen interessierte mich nur noch theoretisch, denn ich wusste, dass Sir James, unser Chef, noch einen mündlichen Bericht wollte.
Dazu war Zeit im Büro, weil kein neuer Fall anlag. Ich hoffte nur, dass es auch so blieb, denn ich hatte keine Lust, bei diesem Wetter auf die Piste zu gehen. Da freute man sich sogar auf einen Tag in den Yard-Wänden.
Suko stand bereits in der offenen Tür, als ich meine Wohnung verlassen hatte.
»Bleibt es dabei, John?«
»Klar, wir nehmen die Tube.«
»Super.«
Bis zur Haltestelle war es nicht weit, aber trotzdem ein unangenehmer Weg, denn der Schnee peitschte in unsere Gesichter und nässte sie. Suko schützte sein Haar durch eine Strickmütze, ich hatte keine, und
Weitere Kostenlose Bücher