1711 - Der Mond-Mönch
die Aufforderung sehr wohl gehört, folgte ihr aber noch nicht.
»Was sagtest du?«
»Hinknien!«
»Und dann?«
»Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, meine Feinde im Knien hinzurichten. So ist das schon immer gewesen, und davon gehe ich nicht ab!«
Karina pokerte hoch, als sie sagte: »Ich denke, du wolltest mich Sobotin überlassen?«
Ein scharfes Lachen erreichte sie. »Ich habe es mir anders überlegt. Du bist zu gefährlich. Ich werde es selbst erledigen. Also geh wieder auf die Knie. Wenn du dich weigern solltest, werde ich trotzdem dafür sorgen, dass du vor meinen Füßen kniest. Dann schieße ich dir eine Kugel ins Bein, und ich glaube nicht, dass du dann noch stehen bleiben wirst.«
Die Agentin wusste, dass dieser Killer nicht bluffte. Wer auf Rasputins Seite stand, war eiskalt. Dem war ein Menschenleben kaum etwas wert.
Aufgegeben hatte sie noch immer nicht. Karina war eine ausgebildete Kämpferin. Sie hatte sich schon oft in lebensgefährlichen Situationen befunden, wobei es ihr letztendlich immer gelungen war, einen Ausweg zu finden. Diesmal ging sie davon aus, dass der Mann dicht an sie herankommen würde, bevor er ihr eine Kugel durch den Kopf schoss. Seine Nähe konnte ihre Chance sein.
»Ich warte nicht mehr …«
»Schon gut. Ich tue, was du willst.« Sie hatte nicht geblufft. Durch ihren Körper ging ein Ruck, der sich danach sichtbar fortsetzte, als sie sich in die Knie sinken ließ.
»Zufrieden?«, fragte sie noch.
»Sehr sogar.« Der Killer lächelte und nickte. Im Hintergrund hockten die Bewohner des Hauses auf der Ofenbank und wagten nicht, sich zu rühren. Die ältere Frau murmelte etwas vor sich hin. Es waren leise Gebete, die den Killer störten. Er schrie ihr zu, das Maul zu halten.
Karina wartete darauf, dass der Mann näher kam.
Das tat er nicht.
Die Entfernung zwischen ihnen blieb bestehen. Er veränderte nur die Zielrichtung seiner Waffe, wobei die Mündung jetzt genau auf Karinas Gesicht zeigte.
In diesem Augenblick wusste sie, dass ihre Rechnung nicht aufgehen würde. Er würde nicht neben sie treten, sondern die Hinrichtung aus der Distanz vollziehen.
Plötzlich spürte sie Angst. Sie war nur ein Mensch und keine Maschine.
Und dann fiel der Schuss!
***
Auch wenn es keinen Wind gab, der den Schnee von der Oberfläche in einem wilden Gestöber wegfegte, es war trotzdem saukalt, wenn man bei diesen Temperaturen in der Kälte stand, die zuerst in die Füße, dann in die Beine zog und danach den übrigen Körper erfasste.
So erging es mir. Ich stand in dieser Kälte. Nur hatte ich die Mitte der Straße verlassen, weil ich mich dort wie eine lebende Zielscheibe fühlte. Ich war zu der Seite gegangen, an der das Haus stand, in dem Karina verschwunden war und sich schon recht lange darin aufhielt.
Um die Kälte nicht zu schlimm werden zu lassen, marschierte ich auf und ab. Immer in Deckung des Lattenzauns und des dort recht hoch liegenden Schnees.
Nach wie vor wirkte der Ort wie ausgestorben. Es gab nichts, was die Stille unterbrochen hätte. Kein Laut, kein Schrei, kein Geräusch, nur eben diese nächtliche Ruhe. Der Schnee hatte alles zugedeckt, das Leben begraben, als sollte es für alle Zeiten vom Erdboden verschwinden.
Ich dachte unentwegt an Karina Grischin, die sich auch jetzt noch nicht zeigte, sodass ich mir allmählich Sorgen machte. So lange konnte die Befragung der Menschen dort nicht dauern. Je länger sie weg blieb, umso sorgenvoller wurden meine Gedanken, dass etwas passiert sein könnte.
Ich musste nachschauen.
Mit wenigen Schritten hatte ich die Hauswand erreicht, an der sich die Fenster befanden. Vor dem ersten Blick blieb ich stehen und wollte hindurchschauen.
Das ging nicht, weil die Eisschicht zu dick war, die auf dem Glas lag.
Da war nichts zu machen.
Und trotzdem gab ich nicht auf. Eine innere Stimme warnte mich davor, einfach das Haus zu betreten. Deshalb wollte ich mir ein Guckloch schaffen.
Im Haus brannte ein schwaches Licht. Das war selbst durch die Eisschicht zu sehen, die bald wegtaute, als sie die Flamme meines Feuerzeugs zu spüren bekam.
Aus dem festen Wasser wurde flüssiges. Ich hatte den Eindruck, als würde das Glas zerfließen, aber ich bekam eine freie Sicht in das Innere des Hauses.
Kerzen brannten dort oder Ölleuchten. So genau war das für mich nicht zu erkennen.
Aber ich sah schon, was sich im Innern des Hauses abspielte, und da hatte ich das Gefühl, einen Stoß in den Magen zu bekommen.
Es hielten sich
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