1715 - Gewächs des Grauens
gewöhnt.
Wo steckte Aldo Makarew?
Waren er und sein Adlatus nicht in die Kirche gegangen? Hatten sie nur einen Vorwand gesucht, um sich von mir zu trennen?
Das wollte mir nicht in den Kopf. Ich sah keinen Sinn darin und doch fand ich mich allmählich mit dem Gedanken ab.
Plötzlich interessierten mich die Kunstwerke nicht mehr, die hier vorhanden waren. Der Bischof war wichtiger. Ich hatte ihn als einen Mann erlebt, der für seine Sache kämpfte, doch ich wollte nicht, dass er diesen Kampf verlor.
Dann fiel mir etwas auf.
Die Decke, die nicht nur auf der Altarfläche lag, sondern auch an allen Seiten nach unten hing, bewegte sich von innen her an meiner Seite. Es sah aus, als würde ein Windstoß von innen gegen die Decke streichen.
Daran glaubte ich nicht.
Es war nicht besonders hell in der Kirche. Nicht mal Kerzen spendeten Licht. Die einzige Helligkeit, die vorhanden war, drang durch die Fenster, und sie reichte nicht aus, um alles genau sehen zu können.
Allerdings wusste ich mir zu helfen. Ich holte meine Leuchte hervor und schaltete sie ein. Das Ziel war die über den Altarrand hängende Decke, die nicht ganz den Boden erreichte.
Das Licht malte einen gelbweißen Kreis auf den Untergrund. Da bewegte sich das helle Tuch wieder. Diesmal schwang es sogar, und dann sah ich plötzlich einen roten Fleck, der von innen durch den Stoff drang.
Rot? Rot wie Blut?
Der Gedanke war kaum in mir aufgekommen, als ich hinter der Decke das Stöhnen hörte.
Jetzt gab es für mich kein Halten mehr. Eine Hand hatte ich noch frei. Damit zog ich die Decke hoch, sodass ich unter den Altar schauen konnte.
Darunter war Platz, denn die Platte lag auf einem stabilen Mittelfuß.
Und vor ihm, noch von der Decke geschützt, lag der Bischof auf der rechten Seite.
Ich leuchtete ihn an und entdeckte das Blut an seinem Hals und auch im Gesicht. Für mich war es ein Wunder, dass der Mann noch lebte …
***
Die Tür vor Jane Collins wurde ganz normal geöffnet, und Jane, die eigentlich den Bischof erwartet hatte, sah einen älteren, dürren Mann in schwarzem Outfit und mit schlohweißen dünnen Haaren.
Jane kannte Makarew und sagte sofort: »Sie sind aber nicht der Bischof.«
Der Weißhaarige nickte. »Da haben Sie recht.«
»Und wer sind Sie?«
Auf den Lippen erschien ein freundliches Lächeln. »Mein Name ist Tobias Sobic. Ich bin hier so etwas wie die rechte Hand des Bischofs und kann ihn auch bei einer Messe vertreten.«
»Aha, so ist das. Und wo finde ich den Bischof?«
»Kommen Sie erst mal rein.«
Jane hatte die freundliche Einladung gehört, dennoch zögerte sie, denn ein ungutes Gefühl hatte sie erfasst.
»Bitte, sagen Sie dem Bischof, dass seine Mitarbeiterin Jane Collins hier ist und …«
Sobic klatschte in die Hände. »Warum kommen Sie nicht herein, Miss Collins?«
»Wenn der Bischof nicht da ist …«
»So dürfen Sie das nicht sehen. Er ist in seinem Schlafzimmer und wollte sich ein wenig ausruhen.«
»Ach! Hat er keinen Besuch bekommen?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Sobic hob die Schultern. »Warum fragen Sie das?«
»War nur eine Idee.«
»Ach so. Aber bitte, Sie können hier auf Aldo Makarew warten.«
Jane war zwar nicht sonderlich überzeugt, aber ihr blieb keine andere Wahl. Also bewegte sie sich vor, als Sobic zur Seite getreten war. Sie trat in den halbdunklen Flur, nahm den Geruch nach Weihrauch wahr und hatte den Eindruck, dass etwas Feuchtes auf ihrem Gesicht klebte. Sie blieben nicht im Flur, sondern gingen in ein recht großes Zimmer, in dem es noch eine zweite Tür gegenüber der ersten gab. Sie war jedoch geschlossen.
Hell war es nicht gerade. Durch das Fenster fiel das graue Tageslicht, und Sobic deutete auf einen Stuhl, auf den Jane sich setzen sollte.
»Wir werden bald nicht mehr allein sein. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Danke, nein. Ich will nicht so lange bleiben.« Jane hatte die eingepackte Ikone auf den Tisch gelegt, was Tobias Sobic nicht verborgen geblieben war.
Er deutete auf das Bild. »Haben Sie das Bildnis des Isidor ersteigern können?«
»Ja.« Jane runzelte die Stirn. »Sie wissen davon?«
»Natürlich. Der Bischof und ich haben keine Geheimnisse voreinander.« Er lächelte. »Es ist wohl nicht einfach gewesen, an dieses wertvolle Kleinod heranzukommen, denke ich mir.«
Jane winkte ab. »Es ging, ich musste nur ein wenig höher bieten.«
»Wieder mal das Geld.«
»So ist es leider.«
Tobias Sobic rückte ein wenig näher an Jane
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