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172,3 (German Edition)

172,3 (German Edition)

Titel: 172,3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincent Voss
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Vielmehr glaubte er sogar, so etwas wie Erleichterung feststellen zu können, besann sich und hielt es für eine Fehlinterpretation. Da war wohl der Wunsch Vater seines Gedanken. Viktor legte seine Tasche auf den Tisch, atmete hörbar aus und faltete die Hände vor sich zusammen.
»Also … ich war gerade bei Direktor Kirschstein und habe davon erfahren, dass euer Mitschüler Sascha Krüger durch einen bedauerlichen Unfall …«
»Unfall«, echote es zynisch aus der Klasse. Viktor hatte leider nicht den Absender des Kommentares ausfindig machen können.
»… gestern Abend ums Leben gekommen ist.«
Die Klasse schwieg.
»Wie ich gehört habe, hat er sich seine Hände im Getränkeautomat so stark verletzt, dass er verblutet ist«, stellte Viktor in den Raum und wartete auf eine Reaktion. Leises Hüsteln, Scharren der Füße, ehe Matthias sich meldete. Viktor nickte.
»Also, ich wollte fragen … machen wir jetzt trotzdem Unterricht?«
Viktor erwischte sich dabei, dass er seine Klasse überschätzt hatte. Er schüttelte verneinend den Kopf.
»Nein. Der Unterricht wird heute und morgen ausfallen. Nach so einem tragischen Unfall sind der Schock und die Trauer viel zu groß. Nach dieser Stunde könnt ihr gehen, dann habt ihr Ferien.«
Wallte zu gewöhnlichen Ferienanfängen eine zumindest verhaltene und bisweilen auch jubelnde Feierstimmung auf, zündete diese Ankündigung nicht. Einige sahen betreten zu Boden, andere schienen völlig mit sich selbst und ihren Gedanken beschäftigt.
»Wir wissen gar nicht so genau, was mit Sascha passiert ist, Herr Vogel«, meldete sich Kevin zu Wort und überwand damit eine allgemeine Hemmschwelle. Viktor räusperte sich.
»Also, ehrlich gesagt, Kevin, ich auch nicht. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass sich jemand an einem Getränkeautomaten tödlich verletzen kann.« Er sah aus dem Fenster und überlegte kurz. »Na ja, durch einen Stromschlag, wenn es sehr unglücklich läuft vielleicht, aber verbluten?«
Ohne sich zu melden, erhoben jetzt einige ihre Stimme.
»Ich kenne einen der Glaser, die Sascha gefunden haben. Der sagte, beide Hände waren völlig zerfetzt gewesen und alles war voller Blut«, sagte Michael.
»Das habe ich auch gehört. Und dass ihm mehrere Finger gefehlt haben. Einfach weg!«
Sie begannen wild durcheinander ihren Wissensstand zu vergleichen, Viktor ließ es laufen. Der Brustlöser war ihm jetzt weit wichtiger als Ordnung und Disziplin.
Als alle – sogar Thomas – ihre Entrüstung und ihre Fragen kundgetan hatten, moderierte Viktor.
»Wenn ich es richtig verstanden habe, waren beide Hände so stark verletzt, dass die Pulsadern … nun … also … ausbluteten, wenn man das so sagen kann. Richtig?«
»Ja, Herr Vogel«, antwortete Kevin stellvertretend für die ganze Klasse. Nach wie vor blieb es für Viktor ein Rätsel, wie eine so schwere Verletzung ohne Fremdeinwirkung verursacht werden konnte. Er nahm ein Stück Kreide, klappte die Tafel auf und begann mit einfachen Strichen eine Zeichnung.
»Das hier ist der Automat von vorne … und so im Querschnitt … und das ist die Klappe, wo man in das Fach hineinlangt. Wo kann man, nein, besser, wie weit kann man denn da hineingreifen?«
Viktor war sich unsicher, ob seine rein technische und ziemlich unpersönliche Ausführung nicht fehl am Platz war. Andererseits: Er verspürte weder Trauer noch Mitgefühl.
»Ich glaube, bis dahin so«, antwortete Matthias und bedeutete einen Punkt der Zeichnung. Viktor zeigte darauf.
»Nein, noch ein bisschen höher. Genau. Und da ist nochmal so eine Klappe, wo die Flaschen ausgeworfen werden.«
Viktor zeichnete mit.
»Nee, Mann … das ist Schwachsinn. Da sind so Gabeln, die an Federn hängen und die Flaschen wandern da so runter. Wie eine Treppe, da ist dann keine Klappe mehr«, widersprach Johannes.
Gemeinsam fertigten sie eine Skizze an, wie der Automat funktionierte und erörterten die technischen Möglich- und Wahrscheinlichkeiten eines Unfalls mit diesem Ausmaß. Am Ende der Stunde waren sie so ratlos wie vorher. Allerdings hatte es allen gut getan, sich die Zweifel und Ängste in dieser Runde von der Seele zu reden. Ohne Dennis und Alexander. Und auch ohne Sascha.
*
Die beiden Beamten kamen in Viktors und Kellermanns Büro. Kellermann wollte seit einer halben Stunde gehen, konnte und wollte sich aber nicht aus der Unterhaltung über den mysteriösen Tod mit Viktor lösen.
»Herr Vogel, können wir Sie einen Moment sprechen?«, fragte der kleinere und ältere Beamte,

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