172,3 (German Edition)
die keine Widerrede duldete. Viktor ging kraftlos an ihr vorbei, schlich die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Larissa schlug die Schlafzimmertür zu.
Er schmiss seine Decke und das Kissen auf das Sofa, verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und starrte in den dunklen Garten. Was hatte er getan? Vor seiner Frau gewichst. Wie ein Tier. Und obwohl es ihm unsagbar falsch vorkam, hielt sich seine Wut auf sich selbst in Grenzen. Ebenso sein Schamgefühl. Wie fremde Gäste hatten sie in ihm Platz genommen, doch er wollte ihnen kein Gehör schenken. Vielmehr lauschte er einer anderen Stimme in sich. Einer, die ihm zusprach. Dass ein Mann sich nun einmal nehmen sollte, wenn er etwas brauchte. Dass er nicht zimperlich sein solle, dass es nur natürlich war und dass SIE Schuld an dieser misslichen Lage hatte, in der sie sich nun befanden. Schließlich kannte sie doch seine Bedürfnisse, die Bedürfnisse eines Mannes, der noch nicht einmal auf- oder zudringlich wurde. Oh ja, da gab es gewiss viel Schlimmere!
Wütend zog er seine Sportkleidung an, schaltete den Hometrainer ein und startete sein Programm. Doch anstatt sich seine Wut abkühlte, erhitzte sie sich so stark, dass ein ungelenkter Hass in ihm aufloderte. Ein Hass der sogar töten konnte, wenn er gewollt hätte.
*
Irgendwo auf den Fluren wurde eine Tür aufgerissen und jemand rief etwas. Sascha verstand nicht was und kämpfte weiter darum, seine Hand zu befreien.
»Lass los!«, brüllte er und trat mit dem Knie gegen das Gerät, wie er es aus dem Kampfsportunterricht kannte. Seine Kicks entfalteten jedoch nicht ihre volle Wirkung, da seine Hand bis zum Unterarm noch immer in dem Schlitz steckte.
»Scheiße!«, fluchte er und es fehlte ihm an einer Idee, wie er sich befreien konnte. Er verharrte und in dem Augenblick der Besinnung traf ihn ein entsetzlicher Schmerz in seinem Mittel- und Ringfinger, und damit auch die Erkenntnis, dass sein Leiden noch kein Ende hatte, sondern vielmehr ein neues Stadium des Martyriums auf ihn wartete. Geschockt analysierte er stumm seinen Schmerz. Die oberen Fingerglieder der beiden Finger, seine Fingernägel … er wusste nicht genau, was ihnen widerfahren war, aber intuitiv spürte er, dass etwas sie abgerissen hatte. Die beträchtliche Menge warmen Blutes, die er seine Hand hinunterlaufen fühlte, zählte er als Beweis seiner These. Ein Schrei löste sich aus seiner Kehle.
»Hilfe!«, rief er. »Ich bin hier bei den Automaten. Oh, Scheiße, da steckt irgendwas drin, Scheiße!«
Wieder lutschte etwas Kaltes an seiner Hand, seinen Fingern. Sascha erschrak und stierte auf seinen im Automaten verschwundenen Arm. Es lutschte nicht, es kaute! Sascha kreischte, schlug und trat, aber er bekam sich nicht befreit. Ein weiterer Schmerz, der Ring- Mittel- und Zeigefinger betraf … ein Riss – vermutete er – und dann hörte Sascha deutlich ein Knacken. Seine Knochen! Etwas hatte seine Fingerknochen durchtrennt!
»Hilfe! Dennis! Alex!«
Ein weiterer Schwall Blut rann seine Hand herunter und jetzt drang ein Rinnsal seinen Unterarm entlang. Sascha starrte ihn an. Viel Blut! Nicht so, als hätte er sich einfach in den Finger geschnitten. Vor Panik wurde ihm schwindelig, er ließ die Schwäche aber nicht zu und zog, seinen Unterarm mit der anderen Hand umfassend, an seinem Arm. Wieder unglaubliche Schmerzen. Sie folgten in Stößen kurz aufeinander. Am Daumenballen, am Daumen selbst, gefolgt von dem widerlichen Knirschen seines obersten Daumenglieds, dann wurde sein Arm etwas weiter in den Automaten gezogen und er spürte einen reißenden Schmerz an seinem Handgelenk. Im Reflex kämpfte Sascha um die verlorenen Zentimeter, aber er steckte fest. Irgendwo hörte er Dennis rufen und er schrie eine Antwort, ohne zu wissen was. Seine Panik wurde durch eine immer größere Menge von Blut genährt, die an seinem Arm entlang auf den Boden troff. Wieder Schmerzen. Am Handgelenk hatte ihn etwas gebissen. Es saugte. Nein. Es war schlimmer. Etwas nagte an seinem Handgelenksknochen. Er riss die Augen auf, ging in die Knie, rüttelte und riss an sich, griff mit der linken Hand in das Ausgabefach. Ein Fehler. Auch die andere Hand wurde fest gehalten, und wesentlich schneller als beim ersten Mal, spürte er auch hier etwas seine Hand betasten, an ihr saugen … und dann den Biss. Das Knacken der Knochen, einen Moment, in dem sich die strapazierten Glieder nicht von ihrer Herkunft lösen wollten und dann den Riss. Sascha kniete tatenlos davor und sah der immer
Weitere Kostenlose Bücher