1739 - Justines grausamer Urahn
sagen, mein Freund. Ich spüre noch eine ganz andere Bedrohung.«
»Wie?«
»Eine stärkere.«
Bill wollte es genauer wissen. »Und du meinst damit nicht diese Halbvampire?«
»So ist es.«
»Aber wer steckt dann dahinter?«
Serena breitete die Arme aus. »Ich kann es dir nicht sagen. Man muss hier von einem namenlosen Grauen sprechen, auch wenn du das im Moment nicht begreifen kannst. Es ist einfach so.«
Bill war ein Mensch, der den Dingen immer gern auf den Grund ging. »Okay, dann schaue ich mal nach.«
Sheila hatte mitgehört und fragte: »Wohin willst du?«
»Nur einen Blick in den Gang werfen.« Er schloss die Tür auf. »Eine erkannte Gefahr ist nur halb so groß.«
Sheila sagte nichts.
Bill Conolly zog die Tür behutsam auf. Er war auch bereit, sie sofort wieder zuzuschlagen, wenn er etwas Verdächtiges sah. Er hörte nichts, und er sah auch nichts. Er warf zuerst einen Blick nach rechts, den nächsten nach links und atmete auf. Der Flur war zwar nicht leer, weiter hinten betrat ein Paar das Zimmer, aber von irgendwelchen Geschöpfen, die auf Halbvampire hingedeutet hätten, war nichts zu sehen.
Das beruhigte Bill.
»Nichts«, meldete er.
Sheila nickte. »Sehr gut.«
Bill wies auf die Terrassentür. »Ich werde mich sicherheitshalber auch noch dort umsehen.«
»Ja, tu das. Und dann würde es mich interessieren, was mit John los ist.«
»Er wird sich schon melden, keine Sorge.«
»Davon bin ich nicht so überzeugt. Ich fürchte, dass er in Schwierigkeiten gerät.«
»Das hoffe ich doch«, erklärte die Cavallo kichernd.
Sheila schaute sie nur an. Eine weitere Bemerkung verschluckte sie. Aber ihre Furcht stieg wieder an. Wenn die Kraft des anderen Blutes nachließ, waren sie die Verlierer, denn gegen die Kraft der Blutsaugerin kamen sie nicht an.
Bill öffnete die Tür zur Terrasse. Ein schwacher Wind war noch immer vorhanden. Er brachte Gerüche und Düfte mit, die aus der Natur stammten und eine Wohltat für seine Nase waren. In diesen Sekunden waren der Stress und der Ärger vergessen. Für wenige Sekunden dachte er, sich in einem wunderbaren Urlaub zu befinden, was teilweise ja auch stimmte. Er ging einige Meter vor, bis er das Geländer erreichte. Von diesem Platz aus hatte er den besten Blick, auch wenn in der Dunkelheit nicht viel zu sehen war.
Er sah den Weg, den Glanz des Wassers im Pool, die Lichter in der Ferne, die an den Bergen zu kleben schienen und doch zu Häusern gehörten, in denen Menschen lebten.
Das alles kannte er. Das bedeutete auch keine Gefahr, und im Schein der Lampen unten entdeckte er ebenfalls keine Bewegungen irgendwelcher fremder Personen.
Bill wollte wieder zurückgehen. Er gehörte zu den drei Wachposten, die Justine Cavallo nicht aus den Augen lassen würden. John Sinclair erledigte seinen Job unten und...
Bills Gedanken brachen ab.
Er hatte die Hälfte des Wegs bereits hinter sich, als er die Bewegung auf der Terrasse sah. Und zwar dort, wo es am dunkelsten war und auch der Schein aus dem Zimmer nicht hinreichte. Ein Schatten löste sich.
Ein Mensch. Aber kein normaler, das spürte der Reporter sofort. Öfter als gewöhnlich hatte Serena von dem Bösen gesprochen, und genau dieses Böse stand jetzt vor ihm...
***
Die Überraschung oder der Schock waren so stark gewesen, dass Bill sich zunächst nicht bewegen konnte. Er war nicht darauf gefasst gewesen, so etwas erleben zu müssen, und seine Hände krampften sich zu Fäusten zusammen.
Der andere tat nichts. Er stand einfach nur da und starrte den Reporter an. Sekunden tickten dahin, und niemand unternahm etwas, um die Lage zu verändern.
Bis es Bill zu viel wurde. »Wer sind Sie, und wo kommen Sie her?«
»Ich bin jemand, der überall und nirgends sein kann. Aber jetzt bin ich hier.«
»Gut. Dann verschwinden Sie auch wieder.« Bill gab sich bewusst forsch. Seine wahren Gefühle wollte er überspielen.
»Du bist sehr forsch, Bill.«
»Ach? Sie kennen mich?«
»Ich kenne viele.«
»Dann wollen wir es auch dabei belassen.« Er hatte keine Lust, noch länger mit dieser Gestalt zu reden. Er wollte so schnell wie möglich zurück ins Zimmer, wo er sich sicherer fühlte.
Er ging.
Aber der andere auch.
Und er war schneller als Bill. Denn plötzlich verließ er seine dunkle Deckung. Er geriet ins Licht, das aus dem Zimmer fiel, und Bill sah ihn zum ersten Mal richtig. Er hatte sich darauf nicht unbedingt vorbereiten können. Jetzt sah einen Mann vor sich, der eine lange Jacke trug, aber das war
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