1774 - Ranjas Rudel
das Ufer des Sees war ihr zum größten Teil durch Bäume und Sträucher verwehrt. An einer Stelle aber war das nicht der Fall. Da sah sie eine freie Fläche, und sie glaubte auch, gleich daneben, wo es wieder hohe Büsche gab, so etwas wie ein Bootshaus zu sehen oder zumindest einen Teil davon.
Kate Milton überlegte. War Sinclair dort? Sollte sie ihm dorthin folgen? Was ging sie das überhaupt an?
Es war alles nur Unsinn. Sie hatte den Ausflug nur ihrer Neugierde zu verdanken, einen vernünftigen Grund gab es nicht. Also konnte sie auch wieder zum Zug zurück und...
Weiter dachte sie nicht. Es geschah hinter ihr. Sie hörte die typischen Geräusche, die entstehen, wenn ein Zug anfährt. Er war tatsächlich angefahren. Sie hörte ihn über die Schienen rollen und fluchte leise vor sich hin. Jetzt stand sie da und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie konnte zum Gleis zurücklaufen, ihm nachgehen, um vielleicht einen kleinen Ort zu erreichen. Aber das konnte sich hinziehen.
Da tendierte Kate Milton mehr zur zweiten Alternative. Sinclair hatte sie bisher noch nicht zu Gesicht bekommen und sie konnte sich vorstellen, dass er sich in der Nähe des Sees herumtrieb, sich vielleicht sogar in der Hütte umsah, die vielleicht ein Bootshaus war.
Das wollte sie unbedingt herausfinden. Die Strecke bis zum Ufer war nicht weit. Sie würde es in ein paar Minuten erreicht haben, aber sie hatte noch eine andere Idee. Es konnte durchaus ein, dass man vom See her das Gelände beobachtete. Darauf stellte sich Kate ein und ging davon aus, die eine oder andere Überraschung zu erleben.
Die alten Beine bewegten sich recht flott, jetzt machte sich das Wandertraining bemerkbar.
Kate wusste genau, wo sie gehen musste, und sie war froh darüber, bestimmte Schuhe zu tragen, in denen sie einen festen Halt hatte. So knickte sie bei dem leicht abschüssigen Gelände nicht um und war stets trittsicher.
Das Ziel rückte näher, ohne dass es eine Veränderung gab. Sie war allein auf weiter Flur. Hier zeigte sich kein Mensch und auch kein Wolf. Niemand hielt sie auf, wobei ein Lächeln auf ihrem Gesicht lag. Sie fühlte sich gut, und sie dachte daran, dass sie es schaffen konnte. Der Boden war recht weich, und das Gras wuchs dort, wo sie wenig später entlang ging, noch höher.
Sie passte auf. Das Ziel ließ sie nicht aus den Augen. Sie lauschte zudem nach bestimmten Geräuschen. Sie wartete auf menschliche Stimmen oder zumindest auf eine, doch da hatte sie Pech.
Dafür hörte sie etwas anderes. Der Wind hatte die Oberfläche des kleinen Sees mit einem Kräuselmuster verziert. Er sorgte auch für Wellen, die sich dem Ufer näherten und dort mit einem leisen Plätschern ausrollten.
Als sie die ersten Bäume erreicht hatte, duckte sie sich zwischen ihnen. Dort blieb sie erst mal, um zu beobachten und zu lauschen.
Zu sehen bekam sie nichts. Zu hören schon. Leicht dumpfe Laute, die auch von irgendwelchen Schritten hätten stammen können. Sie drangen aus der Nähe des Bootshauses an ihre Ohren.
Und dann hörte sie ein Klatschen, als wäre jemand oder etwas in das Wasser gefallen.
Es hätte Kate nicht gewundert, Stimmen zu hören, sie wünschte es sich sogar, aber der Wunsch wurde ihr leider nicht erfüllt. Es gab keine Stimmen und nichts, was auf etwas Menschliches hingedeutet hätte.
Einige Sekunden wartete sie noch. Es geschah nichts, und so setzte die Frau ihr Vorhaben in die Tat um. Sie wollte jetzt keine Sekunde mehr verstreichen lassen und wissen, ob sie wirklich allein in dieser Umgebung war.
Genau da hörte sie den Fluch. Das Klatschen auch, aber sie wusste, wem die Stimme gehörte.
John Sinclair!
***
Ich war schuss- und kampfbereit, als mich das Hochschnappen der Welle überraschte. Und sie fuhr so weit hoch, dass sie sogar mein Gesicht erreichte und mich behinderte. Ich hatte ja schießen wollen, doch als das Wasser in mein Gesicht klatschte, war ich zu sehr überrascht.
Ein Fluch drang über meine Lippen, das war alles. Den Wolf sah ich nicht mehr, das Wasser hatte mir die Sicht genommen, und ich wich automatisch zurück, während ich mit einer Hand versuchte, mir das Wasser aus dem Gesicht zu wischen.
Vor mir jagte ein Schatten hoch. Es war der Wolf. Er hatte seine Position kaum verändert. Vor mir war er aus dem Wasser gestiegen, er präsentierte mir nicht nur sein offenes Maul, sondern auch seine freie Brust. Seine Absicht war klar. Er würde sich auf mich stürzen.
Ich ruderte mit den Armen und konnte deshalb nicht
Weitere Kostenlose Bücher