179 - Der rote Tod
ungestümer Tatendrang befiel ihn. Er eilte aus dem Haus und stieg in seinen Wagen. Es gab in Euston eine Bar namens »Voodoo«. Sie gehörte Nick Collins, dem größten Schlitzohr Londons.
Jedenfalls war er das früher gewesen. Cameron hatte ihn eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.
***
Im »Voodoo« geriet mal wieder die Welt aus allen Fugen. Die Bar war seit Jahrzehnten eine Goldgrube.
Nick Collins hatte auf das richtige Pferd gesetzt.
Das »Voodoo« hatte damals »Leguan« geheißen. Sein Besitzer war einem Herzschlag erlegen, dessen Frau wirtschaftete es so weit herunter, daß es billig zu haben war.
Was sich Collins beim Kaufpreis ersparte, steckte er zusätzlich in die Ausstattung. Der finanzielle Großeinsatz lohnte sich. Das »Voodoo« ging vom Start weg hervorragend.
Es gab künstliche Palmen, echte Urwaldtrommeln, Gegenstände, die für geheimnisvolle Voodoo-Riten verwendet worden waren. Man konnte die Bar als kleines Voodoo-Museum ansehen.
Alte Stiche zeigten Voodoo-Zeremonien, und die Kellner waren weiß geschminkt, damit sie so aussahen, als wären sie erst kürzlich aus dem Grab zurückgekehrt Nick Collins war dick geworden. Er hatte einen richtigen Busen bekommen. Darunter wölbte sich ein gigantischer Bauch. Aber er war immer noch dieselbe Frohnatur wie früher und verstand es, seine Gäste zu unterhalten und Stimmung zu machen.
»Kennt ihr den?« rief er gerade laut, als Travis Cameron eintrat. »Kommt eine Krankenschwester zum Chefarzt: ›Herr Doktor, der Simulant von Zimmer 12 ist soeben gestorben.‹ Darauf der Doktor: ›Na, jetzt übertreibt er aber!‹«
Brüllendes Gelächter. Die Gäste lachten Tränen, und Nick Collins lachte mit ihnen.
Plötzlich brach er ab. Ungläubigkeit erschien in seinem sympathischen Gesicht.
»Das darf nicht wahr sein!« schrie er überschwenglich. »Travis Cameron! Bist du’s wirklich?«
»Und ob ich es bin«, gab der Reporter des Satans lachend zurück.
Collins kam hinter dem Tresen hervor. »Komm her, laß dich umarmen. Meine Güte, haben wir uns lange nicht gesehen.« Er schlug Cameron herzlich auf die Schulter, dann stemmte er ihn von sich und sagte: »Du hast dich überhaupt nicht verändert.«
»Du auch nicht.«
»Du lügst, aber es tut gut, so etwas zu hören. Du verdammter Halunke, wieso hast du dich so lange nicht blicken lassen?«
Cameron grinste. »Ich konnte mir deine teuren Drinks nicht leisten, mußte erst mal sparen.«
»Holzkopf, für dich sind sie doch gratis.« Das hatte seinen Grund: Cameron hatte dem Besitzer der Voodoo-Bar vor langer Zeit das Leben gerettet. Ein Werwölfhätte Nick Collins zerrissen, wenn Cameron nicht unverhofft aufgetaucht wäre und das Monster zur Strecke gebracht hätte.
»Komm, wir müssen dieses Wiedersehen unbedingt begießen«, sagte Collins.
»Ein andermal gern«, entgegnete Cameron, »aber heute paßt es mir leider überhaupt nicht. Ich bin in Eile, doch ich komme ganz bestimmt in den nächsten Tagen mal vorbei, und dann holen wir alles nach, was wir versäumt haben, okay?«
»Na schön, ich nehme dich beim Wort. Und was führt dich heute zu mir?« wollte Nick Collins wissen.
»Gehst du noch auf die Jagd?«
»Nicht mehr so oft wie früher«, antwortete Collins.
»Kannst du mir eine Schrotflinte leihen?«
»Sicher.« Collins fragte nicht, wozu Cameron die Waffe brauchte. Wenn er sie haben wollte, würde er sie ihm geben. Sein Freund würde damit bestimmt nichts Unrechtes anstellen.
Er forderte Cameron auf, ihm in die angrenzende Wohnung zu folgen. Dort konnte man sehen, daß Nick Collins im »Voodoo« Geld scheffelte. Die Einrichtung war geschmackvoll, teuer und gediegen.
Im Gewehrschrank standen hervorragende Präzisionswaffen aus aller Herren Länder.
Entsprechend präparierte Sprenggeschosse wären auch nicht übel, dachte Cameron, doch leider fehlt mir die Zeit, sie anfertigen zu lassen.
Nick Collins ließ ihn wählen. Er entschied sich für eine handliche Pumpgun, weil er damit öfter als bloß zweimal abdriicken konnte. »Munition?« fragte Collins.
»Habe ich. Du kriegst die Waffe bald wieder.«
»Hat keine Eile. Wichtiger ist, daß du gut auf dich aufpaßt und bald dein Versprechen einlöst.«
»Ich vergesse es nicht«, versprach Cameron.
»Dann also auf bald. - Du brauchst nicht durch die Bar zu gehen, kannst gleich hier raus.«
»Danke«, sagte Travis Cameron. Zwei Minuten später stieg er in seinen Wagen.
***
Wir kehrten ins Haus zurück. Ethel Thompson hatte gepackt. Sie
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