1790 - Erst Feuer, dann Asche
dann?«
»Was dann?«
»Was hättest du getan, wenn du dich umgeschaut hättest? Wem hättest du Bericht erstattet?«
»Hätte ich das tun sollen?«
»Keine Ahnung. Deshalb habe ich ja gefragt.«
Sie bewegte ihren Kopf. »Ich hasse diesen Ort. Du aber fühlst dich hier wohl – oder?«
»Ja, ich gehöre hierher. Und ich hasse es, wenn man das zerstört, das mir etwas bedeutet. Dieser Altar zum Beispiel. Warum hast du das getan?«
»Es überkam mich.«
»Du hasst Altäre?«
»Und wie!«
Jerome schüttelte den Kopf. »Aber sie tun dir nichts. Altäre sind harmlos. Sie sind Betstätten für Menschen, egal, welchen Glaubens sie sind. Man darf sie nicht zerstören, und wer das trotzdem tut, der läuft in Gefahr, selbst zerstört zu werden.«
»Soll ich jetzt Angst kriegen?«
»Das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass du kein normaler Mensch bist. Ich schätze dich als eine Blutsaugerin ein. Habe ich recht damit?«
»Kann sein.«
»Und wenn du eine bist, wieso kannst du dich hier so normal bewegen? Das kann doch nicht sein.«
»Vielleicht doch. Es gibt welche, die stark sind, und es gibt welche, die weniger stark sind. Ich gehöre zu den Starken, denn man hat mich stark gemacht.«
»Aha. Und wer tat das?«
»Das werde ich dir nicht sagen, denn das brauchst du nicht zu wissen.«
»Schade.«
»Ja, das denke ich auch. So wirst du sterben, ohne die Wahrheit erfahren zu haben.«
»Bist du dir sicher?«
»Immer!«
Jerome Baxter wunderte sich über die Abgebrühtheit dieser Unperson. Damit hatte er nicht gerechnet. So selbstsicher konnte doch niemand sein, der auch wusste, dass er bekämpft werden konnte.
Und das tat Baxter jetzt.
Er war es leid, sein Kreuz zu verstecken.
»Da!«, schrie er, holte es hervor und hielt es der Gestalt entgegen …
***
Baxter rechnete damit, dass jetzt etwas Entscheidendes passieren würde. Dass sie geschockt war und entsprechend reagierte und einfach nur wegrannte.
Das geschah nicht.
Sie blieb stehen und öffnete weit die Augen.
Dann grinste sie.
Und plötzlich wusste Baxter, dass sie noch längst nicht aufgegeben hatte. Bewegt hatte sie sich nicht. Sie stand noch immer neben der Säule, doch ihr Gesicht hatte einen anderen Ausdruck angenommen. Es wirke jetzt irgendwie clownartig. Das mochte an der blassen Haut liegen und auch an den Lippen, die grellrot geschminkt waren, was Jerome Baxter erst jetzt richtig auffiel.
Warum tat sie nichts? Warum lief sie nicht weg? Warum fluchte sie nicht? Warum griff sie nicht an?
Dieses Nichtstun sorgte bei Jerome Baxter für Verwirrung, er wusste im Augenblick nicht mal, ob diese Besucherin ein Vampir war, denn ihre Zähne mit den Spitzen hatte er noch nicht gesehen.
Und das Kreuz?
Er hatte sich so darauf verlassen und er fragte sich, ob es ihn denn beschützte. Er hielt es fest und kam sich seltsam vor. Aber irgendetwas lauerte im Hintergrund, das sich irgendwann zeigen würde.
Es war nicht viel Zeit vergangen, seit er ihr das Kreuz entgegen gehalten hatte, aber ihm kam es lang vor, weil er unter einem so großen Druck stand. Irgendwas musste doch passieren. Das konnte nicht so weitergehen – und ging auch nicht so weiter, denn die Bleiche reagierte.
Sie riss den Mund auf.
Jetzt waren ihre beiden Eckzähne zu sehen. Baxter hörte das Fauchen, das ihm entgegen wehte. Es klang wie ein Signal zum Angriff, und der erfolgte dann auch.
Die Blutsaugerin warf sich nicht nach vorn und gegen ihn. Dafür fing sie an zu schreien. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib. Sie konnte gar nicht mehr aufhören, und ihre Schreie waren wie eine Folter, die Baxter treffen sollte.
Er wollte sich dieses Geschrei nicht länger anhören und reagierte entsprechend. Aus seinem Mund drang ein ebenfalls schriller Schrei, dann stemmte er sich kurz gegen den Boden und rannte auf die Unperson zu. Er wollte ihr das Kreuz um die Ohren schlagen und musste erleben, dass dieses Kreuz so etwas wie ein Schwachpunkt war.
Er hörte das Fauchen der Blutsaugerin. Sie riss ihren Mund noch weiter auf, und dann sah Jerome Baxter, wie Flammen aus seinem Kreuz schlugen …
***
Jerome Baxter wollte es nicht glauben. Er hielt sein Kreuz noch fest, das für ihn plötzlich zu einem Feind geworden war. Es brannte, er spürte die Hitze der Flammen oder glaubte sie zu spüren, denn tatsächlich war sie nicht vorhanden.
Das Feuer strahlte keine Hitze ab.
Es war kalt!
Genau das konnte Jerome Baxter nicht begreifen. Er schüttelte den Kopf, er wollte lachen, aber das
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