1795 - Der Beißer
gab sich generös.
»Du bekommst einige Minuten Zeit. Danach werde ich ihn erschießen. Ist dir das klar?«
»Ja, ich weiß Bescheid.«
»Dann los.«
Am liebsten hätte ich mich erhoben, aber das war nicht drin. Ich blieb zunächst am Boden und suchte mir nur eine etwas bequemere Sitzposition.
So saßen der Beißer und ich uns in Augenhöhe gegenüber. Ich hätte beinahe gelacht. So komisch fand ich die Situation. Das war mir auch noch nicht passiert.
Wir schauten uns in die Augen. Dann besah ich mir die Beine des Mannes. Wo ihn die Kugeln getroffen hatten, war Blut zu sehen, das aus den Wunden gequollen war. Sicherlich hatte er Schmerzen, nur zeigte er keine Gefühle, denn sein Gesicht blieb verschlossen.
Ich war froh, mich wieder ausdrücken und normal sprechen zu können, und setzte dies sofort in die Tat um.
»Was weißt du von Rasputin?« Ich war direkt zum Thema gekommen und hoffte auf eine Antwort.
»Nichts.«
»Aha.«
»Ja, das ist so.«
»Und Chandra?«
»Wer ist das?«
Nach dieser Frage fühlte ich mich schon leicht auf den Arm genommen. »Sie ist eine Frau«, sagte ich. »Aber eine besondere Person. Sie ist kugelfest, ganz im Gegensatz zu dir. Dir hat man so etwas nicht vergönnt, aber sie ist es. Das müsste dich ärgern.«
»Warum denn?«
Ich blieb gelassen. »Nun ja, sie ist nahe an Rasputin herangekommen. Er hat sie gern in seiner Nähe. Er und sie gelten fast als ein Paar.«
»Na und?«
»Du bist nur der Beißer«, erklärte ich und gab der Antwort einen verächtlichen Tonfall.
»Das reicht mir.«
»Meinst du?«
»Ja. Ich habe meinen Weg hinter mir. Ich kann alles. Ich werde weiterhin Kehlen zerbeißen und das Blut der Menschen trinken. Ich will es einfach spritzen sehen.«
»Warum?«
»Seine Feinde sind auch meine. Ich stehe an seiner Seite, und das wird so bleiben.«
»Warum denn? Warum bist du ihm so treu?«
»Weil ich ihn kenne. Weil ich ihm viel zu verdanken habe. Er ist wie ein Wunder. Er ist exzellent. Ich liebe es, in seiner Nähe zu sein. Er hat mich getauft. Er hat für meine Kraft gesorgt, und ich bin sein Produkt. Ich erledige die Aufgaben, die man mir gibt.«
»Und du solltest Wladimir Golenkow töten?«
»Ja.«
»Das hat nun mal nicht geklappt, und ich denke auch, dass es jetzt nicht klappen wird, obwohl er sich so nahe bei dir befindet. Deine Zeit ist vorbei.«
»Das sagst du.«
»Ja, das sage ich. Und ich freue mich schon darauf, mehr über dich erfahren zu können.«
»Wie willst du das denn machen?«
»Das ist ganz einfach. Ich werde dich mitnehmen. Du bist hier nicht in deiner Heimat. Hier haben wir das Sagen. Und wir werden viel mit dir reden. Ich kann andere mit dir reden lassen, das käme auch infrage.«
Er schüttelte den Kopf. »Du wirst nichts, aber auch gar nichts erreichen. Wir sind die Besseren. Wir werden bald an die Macht kommen, und viele werden dann so sein wie ich.«
»Eine Reihe von Beißern? Darauf kann ich verzichten.«
»Nicht nur …«
»Ach, wer kommt denn noch?« Ich hatte sofort nachgehakt.
»Andere. Gegen sie bin ich schwach. Man arbeitet daran, und wir haben auch Zeit.«
»Aber wir nicht«, erklärte Wanda. Sie wies mit der Waffe auf seinen Kopf. »Du bist alles, du bist nur kein normaler Mensch, auch wenn du so aussiehst. Du bist eine Gestalt, die vernichtet werden muss. Das ist alles.«
Ich fürchtete schon, dass sie schießen würde, aber sie hielt sich noch zurück. Dafür drehte sie den Kopf, um mich anzuschauen.
»Hast du noch was auf dem Herzen?«, fragte sie.
»Bestimmt. Aber das fällt mir nicht ein.«
»Es spielt auch keine Rolle mehr. Ich werde ihn töten. Ich kann nicht anders. Das habe ich dir versprochen, das bin ich auch meinem Bruder schuldig.«
Ob das so stimmte, wusste ich nicht. Aber sie war bisher immer mit großem Ernst bei der Sache gewesen, und das hatte sich nicht geändert.
Wladimir Golenkow mischte sich ein. Er hatte ja zuhören können und sagte: »Überleg es dir noch mal. Dieser Mann ist für uns sehr wichtig …«
»Das war mein Bruder auch.«
»Aber ihn kannst du nicht mehr zurückholen.«
»Ich weiß, dass er tot ist. Ich will trotzdem Gerechtigkeit und Rache haben.«
»Aber er ist auch wichtig für uns.«
»Hör auf, Wladimir. Ihr habt noch andere Methoden. Ihr könnt andere Wege gehen, ich will ihn haben. Ich will ihn vernichten, und das werde ich jetzt tun.«
Sie legte wieder an.
Mich hatte man zwar außer Gefecht gesetzt, aber man hatte vergessen, mir meine Waffe
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