18 Gänsehaut Stories
recht, und ihr alle habt unrecht. Ich werde hinübergehen. Ich werde die Gesten richtig machen, und bei der letzten Bewegung – husch – wird der Kaminteppich leer sein. Ihr alle werdet Mund und Augen aufreißen – und ein seriös gekleideter Herr von hundertsiebzig Pfund wird in die Welt der Schatten hineinplatzen. Ich bin ganz sicher. Sie werden sehen. Hören wir auf, darüber zu streiten. Treten wir lieber den Beweis an.«
»Nein«, sagte Wish und trat einen Schritt vor.
Aber Clayton hob die Hände und begann die Gesten des Geistes zu wiederholen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns alle in einen Zustand äußerster Nervenspannung hineingesteigert. Ich glaube, daran war in erster Linie Wishs Verhalten schuld. Wir alle hatten die Blicke auf Clayton gerichtet. Ich zumindest saß stocksteif da und hatte das Gefühl, als ob mein Rücken vom Kopf bis zu den Hüften vereiste.
Und vor dem Kamin stand Clayton und vollführte seine Bewegungen mit ernster Feierlichkeit und zugleich mit unerschütterlicher Gelassenheit. Er beugte und drehte seinen Körper, schwang die Arme und bewegte die Hände. Je näher er dem Ende kam, desto atemloser wurde die Spannung im Raum.
Die letzte Geste bestand, wie gesagt, darin, die Arme weit auszubreiten und dann so dazustehen, mit aufwärts gewandtem Gesicht. Als er schließlich zu dieser Pose kam, stockte mir der Atem. Es war lächerlich, gewiß – aber wer kann sich schon diesem gewissen Gruseln verschließen, das einen bei Gespenstergeschichten überfällt. Es war spätabends, in einem alten, unheimlichen Haus. Würde er wirklich …?
Einen endlosen Augenblick lang stand er so da, die Arme weit ausgebreitet, den Blick nach oben gerichtet, heiter und gelassen, im Lichtschein der Hängelampe. Der Augenblick schien uns eine Ewigkeit zu dauern.
Und dann kam von uns allen so etwas wie ein stummer Seufzer grenzenloser Erleichterung. Denn körperlich war er nicht fort. Es war alles Unsinn. Er hatte uns eine Lügengeschichte aufgebunden, auf die wir beinahe hereingefallen wären – das war alles.
In diesem Augenblick veränderte sich Claytons Gesicht mit einem Schlag. Es veränderte sich so wie ein erleuchtetes Haus, in dem plötzlich alle Lichter ausgehen. Sein Blick wurde starr, das Lächeln gefror auf seinen Lippen. Er stand still. Und dann begann er kaum merklich zu schwanken.
Auch dieser Augenblick war eine Ewigkeit.
Plötzlich polterten Stühle, scharrten Schritte – wir alle waren aufgesprungen und stürzten vor. Seine Knie schienen nachzugeben, er fiel vornüber, und Evans konnte ihn gerade noch in seinen Armen auffangen.
Es traf uns alle wie ein Blitzstrahl. Eine Minute lang brachte keiner von uns ein Wort hervor. Wir glaubten es und konnten es doch nicht glauben …
Als ich aus meiner schlotternden Betäubung zu mir kam, lag ich auf den Knien neben ihm. Sein Hemd war aufgerissen, und Sandersons Hand lag auf seiner Brust …
Wir konnten es lange nicht fassen, was geschehen war. Aber das hatte auch keine Eile. Der Beweis lag vor uns, grauenhaft still und unübersehbar. So blieb er noch eine Stunde liegen.
Clayton war wirklich in jene Welt hinübergegangen, die der unseren so fern und doch so nah ist. Er war den einzigen Weg gegangen, der dem Sterblichen offen ist. Ob wirklich die Gesten und Bewegungen, die der arme Geist ihm gezeigt hatte, diese Wirkung auslösten – oder ob er (wie es im Polizeibericht hieß) mitten im Geschichtenerzahlen von einem Schlaganfall getroffen worden war –, wer will das entscheiden? Es war eines jener unerklärlichen Rätsel, deren Lösung wir erst am Ende aller Tage kennen werden.
Ich weiß nur eines: daß er in demselben Augenblick, in dem er diese ganz bestimmte Geste
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