18 Gänsehaut Stories
Wish.
»Er hat das alles natürlich nicht mit klaren Worten dargelegt«, erklärte Clayton. »Aber so ungefähr war der Eindruck, den ich von ihm hatte. Die ganze Zeit huschte er im Zimmer auf und ab, während er mit weinerlicher Stimme über sein armseliges Selbst redete. Mit seiner dünnen Stimme und seinem durchscheinenden Geisterleib wirkte er noch erbärmlicher, als wenn er ein Mensch von Fleisch und Blut gewesen wäre. Aber als Mensch von Fleisch und Blut wäre er wohl kaum in meinem Zimmer gewesen – ich hätte ihn natürlich hinausgeworfen.«
»Ja, ja, es gibt schon solche Menschen«, meinte Evans.
Und ich fügte hinzu: »Und warum sollten sie nicht ebensogut einen Geist haben wie jeder andere.«
« Was für ihn sprach, war seine ehrliche Bestürzung«, sagte Clayton. »Er war entsetzlich deprimiert, weil er die Sache mit dem Spuk verpfuscht hatte. Alle hatten ihm erzählt, daß es ein Heidenspaß sein würde. Er hatte sich natürlich auch einen Heidenspaß erwartet – und nun war es nichts als ein neuer Mißerfolg auf seiner Liste von Fehlschlägen. Alles, alles im Leben war ihm danebengegangen – und selbst in der Ewigkeit schien es ihm nicht anders zu ergehen. Alles käme daher, sagte er, weil sich nie jemand um ihn gekümmert, niemand ihm Interesse oder Sympathie entgegengebracht hatte. Nach seiner Bemerkung brach er erstaunt ab und sah mich an. Ich sei eigentlich der erste, erklärte er verwundert, der sich je für seine Angelegenheiten interessiert hatte. Ich merkte gleich, worauf er hinauswollte, und beschloß, ihm etwas unter die Arme zu greifen. Ich mag ein alter Grobian sein – aber wenn so ein armer Schwächling (ob Mensch oder Geist) in mir seinen einzigen wahren Freund sieht, habe ich nicht das Herz, ihn zurückzustoßen.
Ich ermunterte ihn also, sich nicht weiter mit solch düsteren Gedanken abzugeben. Für ihn gäbe es jetzt nur eines: so rasch wie möglich aus dieser Sache herauszukommen. ›Reißen Sie sich zusammen‹, sagte ich, ›und versuchen Sie es.‹ – ›Ich kann nicht«, sagte er. ›Versuchen Sie es!, beharrte ich. Und das tat er denn auch.«
»Wie denn?« erkundigte sich Sanderson.
»Gesten.«
»Gesten?«
»Nun ja, eine komplizierte Reihe von Gesten und Handbewegungen. So war er hereingekommen, so mußte er auch wieder hinaus. Meine Güte – was hatte ich für eine Plage mit ihm!«
Ich begann: »Ich kann mir nur nicht vorstellen, wieso eine Reihe von Handbewegungen …«
»Mein lieber Mann«, fiel er mir ungeduldig ins Wort. »Sie wollen immer alles ganz genau wissen. Ich weiß auch nicht, wieso. Ich kann Ihnen nur sagen, daß es so war. Eine qualvoll lange Zeit mühte er sich vergeblich ab. Aber dann bekam er wohl die richtige Reihenfolge heraus – und auf einmal war er verschwunden.«
Sanderson erkundigte sich: »Haben Sie diese Gesten beobachtet?«
»Natürlich«, antwortete Clayton nachdenklich. »Es war alles sehr seltsam. Wir beide allein in dem leeren Haus, ich und dieser schwächliche Geist. Alles still, kein Laut außer unseren Stimmen und dem schwachen Keuchen, das er bei seinen Übungen ausstieß. Nur zwei Kerzen brannten in meinem Zimmer, die ab und zu gespenstisch aufflackerten. Eine phantastische Situation! ›Ich schaffe es nicht‹, jammerte er immer wieder. ›Ich schaffe es einfach nicht!‹ Und plötzlich sank er auf den kleinen Stuhl am Fußende des Bettes und schluchzte und schluchzte. Ein jämmerliches Häufchen Elend.
›Nehmen Sie sich zusammen!‹ sagte ich und versuchte ihm auf den Rücken zu klopfen – wobei meine Hand natürlich ins Leere griff. Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht mehr ganz so kaltblütig wie vorher auf dem Treppenabsatz. Die haarsträubende Situation begann mich doch etwas nervös
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