18 Gänsehaut Stories
sehnte er sich nach ihr, als daß er ihre forschenden Blicke sah.
Es wurde allmählich dunkel, und als es völlig finster geworden war, hörte er die Haustür gehen. Valerie kam zurück.
Er verspürte keine Lust, den Pfefferminzschnaps zu trinken; er hatte ihn nie gemocht. Also schloß er die Augen und stellte sich schlafend. Er hörte, wie Valerie die Schlafzimmertür öffnete und auf seine regelmäßigen Atemzüge lauschte. Leise schloß sie die Tür wieder. Er verfolgte ihre Schritte bis zur Küche, wo sie die Flasche mit dem Schnaps in den Kühlschrank stellte.
Die Geräusche verrieten ihm, was sie dann tat. Schranktüren wurden geöffnet und wieder geschlossen, Wasser rann, und dann wurde ein Topf auf den Herd gestellt. Aha, sie machte Kaffee. Vielleicht auch ein belegtes Brot dazu. Sicher hatte sie Hunger nach dem langen Weg.
Bob richtete sich auf. Es war nur zu natürlich, daß Valerie jetzt Hunger hatte, aber irgendwie paßte es ihm nicht, daß sie aß, während er sich in ein … ja, in was verwandelte er sich eigentlich? Was war das für eine Metamorphose, die er durchmachte? Die alte Geschichte von Methusalem fiel ihm ein, und es lief ihm kalt über den Rücken.
Valerie ging nebenan ins Wohnzimmer. Er legte sich ins Bett zurück und war bereit, den Schlafenden zu spielen, wenn sie hereinkam. Aber sie kam nicht, sondern ging nach einer kurzen Weile hinaus auf die Terrasse.
Inzwischen war der Mond aufgegangen. Sein bläulicher Schein lag auf den Dächern der Nachbarhäuser und verwandelte sie in glitzernde Diamantenfelder. Vorsichtig stand Bob auf und ging zum Fenster. Wenn er sich ganz nach rechts lehnte, konnte er den Rand der Terrasse sehen. Dort stand Valerie, in der einen Hand die Untertasse, in der anderen die Tasse mit dem dampfenden Kaffee. Sie blickte zu den Häusern hinüber und drehte ihm den Rücken zu. Auf der niedrigen Steinmauer stand ein flacher Teller mit dem angebissenen Brot. Ihr lang herabfallendes, blondes Haar schimmerte wie Gold im Mondlicht.
Sie bewegte sich nicht. Sie hätte eine Marmorstatue sein können. Noch nie zuvor war sie Bob so schön erschienen wie in diesem Augenblick. Er spürte ein plötzliches Verlangen danach, sie jetzt in seine Arme zu schließen. Abrupt drehte er sich jedoch um und ging zur Tür. Das sanfte Mondlicht würde gnädig sein, es würde seine grauen Haare und seine faltige Haut vor ihren Augen verbergen. Vielleicht war das jetzt die letzte Möglichkeit für ihn, noch einmal so wie früher mit ihr zusammenzusein. Sein plötzliches Altern konnte vom Mondlicht verschleiert werden. Vielleicht würde sein Haar nur durch seinen Schein versilbert; die Falten würden vage Schatten werden und seine gebeugte Gestalt eine Täuschung.
Die Hand noch auf dem Türgriff, zögerte er plötzlich. Die Tür war halbgeöffnet, und er konnte das Wohnzimmer übersehen. Irgendwie fiel ihm auf, daß etwas fehlte. Der Raum schien leerer als sonst zu sein.
Das Telefon! Es war nicht mehr an seinem gewohnten Platz. Die Schnur führte zur Terrasse. Valerie hatte das Telefon mit nach draußen genommen, um anzurufen. Wen anzurufen?
Leise schloß Bob die Tür wieder und kehrte ins Bett zurück. Bis zum Kinn zog er die Decken hoch. Auf dem Nachtschränkchen stand das Anschlußtelefon. Er nahm den Hörer vorsichtig ab und lauschte. Das Freizeichen ertönte. Behutsam legte er den Hörer zurück. Er wartete.
Als er das leise Klicken im Innern des Apparates hörte, wußte er, daß Valerie draußen auf der Veranda den Hörer abgenommen hatte. Schon wollte er nach seinem Hörer greifen, da fiel ihm ein, daß er das jetzt noch nicht tun durfte. Erst mußte die Verbindung hergestellt sein. Er zählte langsam bis zehn, hielt die Gabel mit einem Finger fest und nahm
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