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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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sehn­te er sich nach ihr, als daß er ih­re for­schen­den Bli­cke sah.
    Es wur­de all­mäh­lich dun­kel, und als es völ­lig fins­ter ge­wor­den war, hör­te er die Haus­tür ge­hen. Va­le­rie kam zu­rück.
    Er ver­spür­te kei­ne Lust, den Pfef­fer­minz­schnaps zu trin­ken; er hat­te ihn nie ge­mocht. Al­so schloß er die Au­gen und stell­te sich schla­fend. Er hör­te, wie Va­le­rie die Schlaf­zim­mer­tür öff­ne­te und auf sei­ne re­gel­mä­ßi­gen Atem­zü­ge lausch­te. Lei­se schloß sie die Tür wie­der. Er ver­folg­te ih­re Schrit­te bis zur Kü­che, wo sie die Fla­sche mit dem Schnaps in den Kühl­schrank stell­te.
    Die Ge­räusche ver­rie­ten ihm, was sie dann tat. Schrank­tü­ren wur­den ge­öff­net und wie­der ge­schlos­sen, Was­ser rann, und dann wur­de ein Topf auf den Herd ge­stellt. Aha, sie mach­te Kaf­fee. Viel­leicht auch ein be­leg­tes Brot da­zu. Si­cher hat­te sie Hun­ger nach dem lan­gen Weg.
    Bob rich­te­te sich auf. Es war nur zu na­tür­lich, daß Va­le­rie jetzt Hun­ger hat­te, aber ir­gend­wie paß­te es ihm nicht, daß sie aß, wäh­rend er sich in ein … ja, in was ver­wan­del­te er sich ei­gent­lich? Was war das für ei­ne Me­ta­mor­pho­se, die er durch­mach­te? Die al­te Ge­schich­te von Me­thu­sa­lem fiel ihm ein, und es lief ihm kalt über den Rücken.
    Va­le­rie ging ne­ben­an ins Wohn­zim­mer. Er leg­te sich ins Bett zu­rück und war be­reit, den Schla­fen­den zu spie­len, wenn sie her­ein­kam. Aber sie kam nicht, son­dern ging nach ei­ner kur­z­en Wei­le hin­aus auf die Ter­ras­se.
    In­zwi­schen war der Mond auf­ge­gan­gen. Sein bläu­li­cher Schein lag auf den Dä­chern der Nach­bar­häu­ser und ver­wan­del­te sie in glit­zern­de Dia­man­ten­fel­der. Vor­sich­tig stand Bob auf und ging zum Fens­ter. Wenn er sich ganz nach rechts lehn­te, konn­te er den Rand der Ter­ras­se se­hen. Dort stand Va­le­rie, in der einen Hand die Un­ter­tas­se, in der an­de­ren die Tas­se mit dem damp­fen­den Kaf­fee. Sie blick­te zu den Häu­sern hin­über und dreh­te ihm den Rücken zu. Auf der nied­ri­gen Stein­mau­er stand ein fla­cher Tel­ler mit dem an­ge­bis­se­nen Brot. Ihr lang her­ab­fal­len­des, blon­des Haar schim­mer­te wie Gold im Mond­licht.
    Sie be­weg­te sich nicht. Sie hät­te ei­ne Mar­mor­sta­tue sein kön­nen. Noch nie zu­vor war sie Bob so schön er­schie­nen wie in die­sem Au­gen­blick. Er spür­te ein plötz­li­ches Ver­lan­gen da­nach, sie jetzt in sei­ne Ar­me zu schlie­ßen. Ab­rupt dreh­te er sich je­doch um und ging zur Tür. Das sanf­te Mond­licht wür­de gnä­dig sein, es wür­de sei­ne grau­en Haa­re und sei­ne fal­ti­ge Haut vor ih­ren Au­gen ver­ber­gen. Viel­leicht war das jetzt die letz­te Mög­lich­keit für ihn, noch ein­mal so wie frü­her mit ihr zu­sam­men­zu­sein. Sein plötz­li­ches Al­tern konn­te vom Mond­licht ver­schlei­ert wer­den. Viel­leicht wür­de sein Haar nur durch sei­nen Schein ver­sil­bert; die Fal­ten wür­den va­ge Schat­ten wer­den und sei­ne ge­beug­te Ge­stalt ei­ne Täu­schung.
    Die Hand noch auf dem Tür­griff, zö­ger­te er plötz­lich. Die Tür war halb­ge­öff­net, und er konn­te das Wohn­zim­mer über­se­hen. Ir­gend­wie fiel ihm auf, daß et­was fehl­te. Der Raum schi­en lee­rer als sonst zu sein.
    Das Te­le­fon! Es war nicht mehr an sei­nem ge­wohn­ten Platz. Die Schnur führ­te zur Ter­ras­se. Va­le­rie hat­te das Te­le­fon mit nach drau­ßen ge­nom­men, um an­zu­ru­fen. Wen an­zu­ru­fen?
    Lei­se schloß Bob die Tür wie­der und kehr­te ins Bett zu­rück. Bis zum Kinn zog er die De­cken hoch. Auf dem Nacht­schränk­chen stand das An­schluß­te­le­fon. Er nahm den Hö­rer vor­sich­tig ab und lausch­te. Das Frei­zei­chen er­tön­te. Be­hut­sam leg­te er den Hö­rer zu­rück. Er war­te­te.
    Als er das lei­se Kli­cken im In­nern des Ap­pa­ra­tes hör­te, wuß­te er, daß Va­le­rie drau­ßen auf der Ve­ran­da den Hö­rer ab­ge­nom­men hat­te. Schon woll­te er nach sei­nem Hö­rer grei­fen, da fiel ihm ein, daß er das jetzt noch nicht tun durf­te. Erst muß­te die Ver­bin­dung her­ge­stellt sein. Er zähl­te lang­sam bis zehn, hielt die Ga­bel mit ei­nem Fin­ger fest und nahm

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