18 Gänsehaut Stories
den Hörer ab. Dann erst ließ er die Gabel Millimeter für Millimeter los.
Es summte entfernt. Dann ein Knacken und die Stimme eines Mannes: »Hallo.«
»Marty«, sagte die ruhige Stimme seiner Frau. »Hier ist Val.«
»Val?« erwiderte der Mann. »Val Morrison?«
Bob fühlte einen Stich in der Herzgegend. Morrison war Valeries beinahe vergessener Mädchenname. Plötzlich stand Schweiß auf seiner Stirn, und er bedeckte das Mundstück des Hörers mit der Hand. Atemlos lauschte er.
»Du hast mich doch wohl nicht für tot gehalten?« lachte Valerie.
»Du warst so schnell von der Party verschwunden damals …«
Party? Damals? Bob dachte nach, und ihm fiel ein, daß er in der vergangenen Woche geschäftlich unterwegs gewesen war. Er hatte auswärts geschlafen und spät am Abend Val angerufen. Niemand hatte sich gemeldet. Am anderen Tag hatte sie ihm erklärt, sie hätte eine Schlaftablette genommen und das Telefon nicht gehört. Es war die einzige Nacht, in der sie nicht zu Hause gewesen sein konnte. Wenigstens nahm er das an. Er lauschte weiter auf die Stimmen.
Die Worte kamen ihm vertraut vor. So etwa hatte er mit Val gesprochen, bevor sie verheiratet waren. Aus seinem Unterbewußtsein stiegen Erinnerungen hoch, die plötzlich einen Sinn bekamen. Wie oft hatte sie Verabredungen nicht eingehalten oder war einfach davongelaufen? Nie hatte er etwas über ihre Vergangenheit erfahren, sie war allen solchen Fragen ausgewichen oder hatte geschwiegen. Auch dieser Marty wußte nichts von ihr, kannte ihre Adresse nicht und hatte keine Ahnung davon, daß sie verheiratet war.
Hatten diese Sinnlosigkeiten doch einen Sinn? Bob runzelte die Stirn. Welchen Sinn wohl? Was steckte dahinter? Was sollte das alles bedeuten?
Es fiel Bob schwer, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Er hatte plötzlich Angst, ganz schreckliche Angst. Am liebsten wäre er einfach davongelaufen, weg von Valerie, die ihm unheimlich geworden war, ohne daß er hätte sagen können, warum. Sie war jung und schön und lebensfroh. Und er mußte weg von ihr, solange er noch denken konnte.
Seine Hand zitterte, als er den Hörer vom Ohr wegnahm, aber er wagte es nicht, ihn auf die Gabel zu legen. Das Geräusch konnte ihn verraten. Er legte ihn unter das Kopfkissen und glitt vorsichtig aus dem Bett. Seine Beine schmerzten, und er humpelte bis zum Stuhl, auf dem seine Kleider lagen.
Er mußte den Gürtel enger schnallen, und der Kragen war viel zu weit geworden. Erzog den Knoten des Binders so fest an, bis das Hemd saß. Das Haar fiel ihm in die Stirn, und im Mondlicht konnte Bob erkennen, daß es schneeweiß geworden war. Die Hand, mit der er es zurückstrich, war alt und nervig; blaue Adern durchzogen ihren Rücken. Er konnte sich nicht mehr bücken, um die Schnürriemen der Schuhe zu richten. Ihm war plötzlich übel.
Er atmete schwer, und plötzlich fiel ihm auf, daß seine Sicht sich trübte. Das Augenlicht ließ rapide nach. Nur mit Mühe fand er die Tür und hielt sich am Griff fest, bis der Schwindelanfall vorüber war. Vorsichtig öffnete er dann die Tür und stolperte ins Wohnzimmer. Sein erster Blick galt der Veranda. Wie gebannt blieb er stehen. Die Furcht sprang ihn an wie ein wildes Tier.
Gegen das Mondlicht zeichnete sich die Silhouette Valeries deutlich ab. Sie stand in der geöffneten Tür, das Gesicht dunkel und nicht zu erkennen; um ihren Kopf erstrahlte die goldene Aureole des Haares. Sie sah aus wie eine antike Rachegöttin.
»Nanu, Bob«, sagte sie und kam langsam auf ihn zu. »Fühlst du dich wieder besser?«
»Ja – das heißt nein, mir ist schwindelig.« Panik ergriff ihn. »Ich wollte nur frische Luft schöpfen, vielleicht ein Spaziergang.« Seine Stimme klang brüchig. Es war nicht mehr die Stimme, mit der Bob gestern noch
Weitere Kostenlose Bücher