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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Zu dumm, daß er sei­nen Man­tel im Bü­ro zu­rück­ge­las­sen hat­te. Er un­ter­drück­te das Ver­lan­gen, laut zu schrei­en. Lan­ge hielt er das nicht mehr aus. Er dach­te an den Weg bis zur U-Bahn, an das War­ten auf dem Bahn­hof, an die lan­ge Fahrt. Ein frei­es Ta­xi mach­te die Ent­schei­dung leich­ter. Er wink­te es her­an und gab dem Fah­rer sei­ne Adres­se.
    Als Va­le­rie ihn ru­fen hör­te, kam sie von der Ter­ras­se. Ein blau­er Ba­de­man­tel hüll­te ih­re klei­ne und schlan­ke Ge­stalt ein. In der Hand trug sie noch ih­re Tas­se mit dem Früh­stücks­kaf­fee. Bob brach­te kein Wort her­vor. Er sah sie nur an, wäh­rend sei­ne Hän­de lo­se her­ab­hin­gen.
    »Wie­der der Zahn?« frag­te sie schließ­lich. Ein frem­der Ton­fall in ih­rer Stim­me ließ Bob ah­nen, daß sie et­was an­de­res ver­mu­te­te.
    »Ich woll­te, es wä­re nur der Zahn.« Er ging auf sie zu. Jetzt erst wur­de er vom Son­nen­licht voll an­ge­strahlt, das von der Glas­tür der Ve­ran­da her ins Zim­mer fiel. Er sah, wie Va­le­ries Au­gen sich ent­setzt wei­te­ten. Die Tas­se glitt ihr aus der Hand und zer­brach am Bo­den.
    »Bob – dei­ne Haa­re! Dein Ge­sicht …!«
    »Ir­gend et­was ge­schieht mit mir.« Sei­ne Stim­me ver­riet die gan­ze Angst vor dem Un­be­greif­li­chen. »Ich war noch bei zwei Zahn­ärz­ten; sie be­stä­tig­ten, was schon Dr. Hau­fen sag­te. Und nun das noch!« Er sank in den nächs­ten Ses­sel. Auf dem Tep­pich brei­te­te sich die Kaf­fee­la­che aus. »Sechs­und­drei­ßig Jah­re alt bin ich, aber ich ha­be die Zäh­ne ei­nes Grei­ses und das Aus­se­hen ei­nes Man­nes über sech­zig.«
    Va­le­rie setz­te sich in den an­de­ren Ses­sel und nahm sei­ne Hän­de zwi­schen die ih­ren.
    »Le­ge dich jetzt ins Bett, Bob. Ich wer­de den Arzt ho­len.«
    »Wo­zu?« Bobs Stim­me war kalt und spöt­tisch. »Da­mit er mich an­grinst und mich fragt, wie alt ich wirk­lich sei?«
    »Auf je­den Fall fehlt dir was, Bob. Viel­leicht Vit­amin­man­gel, oder du hast dich über­ar­bei­tet. Ein Vi­rus …«
    »Vi­rus!« stieß er zor­nig her­vor. »Was ist das für ein Vi­rus, das einen Men­schen in we­ni­gen Ta­gen um Jahr­zehn­te al­tern läßt?«
    »Ich weiß es nicht«, gab Va­le­rie zu. Plötz­lich stan­den Trä­nen in ih­ren Au­gen. »Ein­fach hier sit­zen hilft uns auch nicht wei­ter. Ich muß et­was für dich tun …«
    »Al­so gut.« Bobs Stim­me klang zer­knirscht. »Du hast recht, Klei­nes. Ruf den Arzt an, dann wer­den wir ja se­hen, was er sagt.«
    Es war vie­le Stun­den spä­ter. Bob lag in sei­nem Bett. Oben an der De­cke glüh­ten die letz­ten Strah­len der un­ter­ge­hen­den Son­ne. Er rauch­te lust­los, sprach nichts, dach­te nur nach und wun­der­te sich. Vor ei­ni­gen Stun­den war der Arzt ge­kom­men und hat­te ihn un­ter­sucht. Er hat­te nichts ge­fun­den und be­tont, für sein Al­ter sei Bob kern­ge­sund und in bes­ter Ver­fas­sung.
    »Wel­ches Al­ter?« hat­te Va­le­rie lau­ernd ge­fragt.
    Der Arzt, der Ver­tre­ter ih­res Haus­arz­tes, der in Ur­laub ge­gan­gen war, sah sie neu­gie­rig und er­staunt an.
    »En­de der Sech­zig, wür­de ich mei­nen.« Sei­ne Stim­me ver­riet Be­frem­den über ih­re un­ge­wöhn­li­che Fra­ge, aber als sie nicht rea­gier­te, schloß er sei­ne Ta­sche, schrieb ein Re­zept aus und ver­ab­schie­de­te sich mit den schreck­li­chen Wor­ten: »Ihr Va­ter soll­te sich ein we­nig aus­ru­hen, Miss Ter­rill, dann wird er sich wie­der bes­ser füh­len.«
    Kei­ner war auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, ihn über sei­nen Irr­tum auf­zu­klä­ren und ihm die Wahr­heit zu sa­gen. Der Arzt war ge­gan­gen. Bob konn­te Va­le­ries Bli­cke nicht mehr er­tra­gen. Er hat­te dar­auf be­stan­den, daß sie zur Apo­the­ke ging und die Me­di­zin hol­te. Um noch län­ger al­lein sein zu kön­nen, gab er spä­ter vor, ein un­wi­der­steh­li­ches Ver­lan­gen nach Pfef­fer­minz­schnaps zu ver­spü­ren. Er wuß­te, daß man die­sen Schnaps nur im deut­schen Vier­tel am an­de­ren En­de der Stadt er­hal­ten konn­te. Sie half ihm ins Bett, küß­te ihn und ging. End­lich war er al­lein. Er hoff­te, sie wür­de lan­ge aus­blei­ben, aber schon bald be­gann er sie zu ver­mis­sen. Doch lie­ber

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