18 Gänsehaut Stories
welchen Schläfer in dem großen Haus ich am ungefährdetsten attackieren konnte, denn daß ich dazu jemanden attackieren mußte, war mir inzwischen natürlich klar. Ich stand da wie ein böser Geist, der über die Mittel und Wege nachsann, sich ein Opfer zu holen.
Und gerade da kam wieder ein neuer Schwächeanfall über mich, jenes entsetzliche Schwächegefühl, das mit jedem Moment stärker wurde und mich völlig zu übermannen drohte. Ich fürchtete, daß ich nach einem neuerlichen Schwächeanfall nicht mehr imstande sein würde, wieder aufzustehen; und so seltsam das auch erscheinen mag, ich hing plötzlich verzweifelt an diesem neuen Leben, das mir da gegeben worden war. Ich schien bereits mit allen dessen Schrecken, aber noch nicht mit dessen Freuden vertraut zu sein.
Plötzlich lichtete sich das Dunkel in dem Korridor, weicher Silberschein fiel herein, und ich sagte mir:
»Der Mond muß aufgegangen sein.«
Ja, tatsächlich war der helle und schöne Mond, der solch einen wiederbelebenden Einfluß auf mich gehabt hatte, als ich inmitten der Gräber gelegen hatte, hinter einer Wolkenbank am östlichen Himmel hervorgekommen, und sein Schein fiel zu einem kleinen Fenster herein. Das Mondlicht erfüllte von dort aus den ganzen Korridor, ihn zwar nur schwach, aber wirksam genug erhellend, um mich ganz klar die verschiedenen Türen erkennen zu lassen, die in die diversen Zimmer führten.
Und so kam es, daß ich zwar genügend Licht hatte für alles, was ich unternehmen wollte, aber sonst keinen weiteren Anhalt.
Die Mondstrahlen, die mir ins Gesicht fielen, schienen mir jedoch vorübergehend neue Kräfte zu verleihen. Erst viel später lernte ich aus Erfahrung kennen, daß sie auf mich immer eine solche belebende Wirkung haben, aber schon damals spürte ich es, obwohl ich diese Wirkung noch keineswegs dem königlichen Himmelsgestirn der Nacht zuschrieb.
Ich ging den Korridor entlang und spürte plötzlich einen Einfluß, der mich zu einer bestimmten Tür hinzog. Ich weiß nicht, wie und woher das kam, aber ich legte meine Hand auf den Türgriff und sagte mir sofort:
»Da drinnen werde ich mein Opfer finden.«
Ich hielt jedoch erst noch einen Moment inne, denn plötzlich wurde mir bewußt, welch schreckliche Tat ich zu begehen im Begriff war und welch schwere Konsequenzen sich daraus vielleicht für mich ergeben konnten. Selbst nachdem ich so weit gegangen war, wäre ich vielleicht immer noch vor der Tat selbst zurückgezuckt, wenn ich nicht gerade im nämlichen Augenblick einen neuen Schwächeanfall gespürt hätte, so entsetzlich und verheerend, daß ich überzeugt war, es würde mein sicherer Tod sein, wenn ich nicht sofort etwas dagegen unternähme.
Daraufhin zögerte ich nicht mehr länger; ich drückte die Klinke nieder, glaubte aber sicher, dadurch entdeckt zu werden. Und so ließ ich die Tür etwa einen Zollbreit offenstehen und floh zu meinem eigenen Zimmer zurück.
Ich horchte gespannt, aber es erfolgte weder ein Alarm, noch rührte sich etwas in irgendeinem der anderen Zimmer – die gleiche totenähnliche Stille wie vorher lag über dem Haus, und ich hatte das Gefühl, daß ich immer noch sicher war.
Ein weicher Strahl von gelbem Licht war durch den Spalt jener Tür gefallen, als ich sie geöffnet hatte. Er mischte sich seltsam mit dem silbrigen Mondlicht, und ich schloß daraus, korrekt genug, wie ich später feststellte, daß in dem Zimmer eine Lampe brannte.
Es dauerte weitere zehn Minuten, bis ich mich wieder soweit gefaßt hatte, daß ich aus meinem Zimmer schlüpfen und zu jenem des mir vom Schicksal bestimmten Schläfers zurückschleichen konnte; aber schließlich sagte ich mir, daß ich es nun gefahrlos tun könnte; außerdem schwand die Nacht
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