18 Gänsehaut Stories
aufgestanden war, aber noch auf der Schwelle ihrer eigenen Kammer stand. »Diebe! Diebe!«
Bis dahin hatte ich mich soweit angekleidet, daß ich geziemend in Erscheinung treten konnte; ebenfalls meinen Degen unter dem Arm, kam ich in den Korridor hinaus.
»Oh, Gentlemen – Gentlemen!« jammerte die Wirtin. »Haben Sie auch etwas gehört?«
»Ja, einen Schrei, Madam«, sagte mein Mitmieter. »Haben Sie schon in die Schlafkammern Ihrer Töchter geschaut?«
Das Zimmer der jüngeren Tochter lag am nächsten, und in dieses ging sie deshalb zuerst. Einen Moment darauf erschien sie wieder auf der Schwelle, im Gesicht weiß wie ein Laken, rang die Hände und stöhnte:
»Mord! Mord! Mein Kind – mein Kind ist ermordet worden, Master Harding.« Das war der Name meines Mitmieters.
»Reißen Sie eines der Fenster auf und rufen Sie nach der Wache«, sagte er zu mir. »Ich werde das Zimmer durchsuchen, und wehe jedem, den ich unerlaubt in dessen Wänden finde.«
Ich tat, wie er gesagt hatte, lehnte mich aus dem Fenster und rief nach der Wache, aber keine Wache kam; dann, bei einem zweiten Besuch im Zimmer ihrer Tochter, stellte die Wirtin fest, daß diese nur ohnmächtig war und daß sie sich durch das Blut an ihrem Hals hatte täuschen lassen, sie sei ermordet worden; daraufhin kam das Haus wieder halbwegs zur Ruhe, und da jetzt sowieso der Morgen nahe war, zog Mr. Harding sich wieder auf sein Zimmer zurück und ich mich auf das meine, und wir überließen es der Wirtin und ihrer älteren Tochter, am Bett der jüngeren zu wachen.
Wie herrlich wiederbelebt ich mich fühlte – ich war eine völlig neue Kreatur, als die hellen Sonnenstrahlen in mein Zimmer fielen. Ich kleidete mich an und wollte gerade das Haus verlassen, als Mr. Harding aus einem der Zimmer im Parterre trat und mich abfing.
»Sir«, sagte er, »ich habe nicht das Vergnügen, Sie zu kennen, aber ich bin sicher, ein allgemeines Gefühl von Anstand und Ritterlichkeit wird Sie veranlassen, alles in Ihren Kräften Stehende zu tun, einer so schrecklichen Bedrohung wie in der letzten Nacht vorzubeugen, damit sie sich nicht wiederholen kann.«
»Bedrohung, Sir?« sagte ich. »Bedrohung von wem und durch was?«
»Eine sehr berechtigte Frage«, sagte er, »aber gleichzeitig eine, die ich kaum beantworten kann. Das Mädchen behauptet, sie sei davon erwacht, daß jemand sie in den Hals biß, und als Beweis dafür weist sie auch tatsächlich Bißspuren vor. So entsetzt ist sie darüber, daß sie erklärt, niemals wieder schlafen zu können.«
»Sie erstaunen mich«, sagte ich.
»Sicher, die Sache ist so erstaunlich, daß man niemandem die Zweifel verdenken kann, die er haben mag. Aber wenn Sie und ich, die wir beide Bewohner dieses Hauses sind, heute nacht in dem Korridor Wache halten würden, könnte das auf die Einbildung des jungen Mädchens eine beruhigende Wirkung haben, und vielleicht gelingt es uns dadurch, dem nächtlichen Störenfried auf die Spur zu kommen.«
»Gewiß«, sagte ich, »ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, und es wird mir ein Vergnügen sein.«
»Gut, machen wir dann gleich jetzt aus, daß wir uns um elf Uhr abends in Ihrem oder meinem Apartment treffen.«
»In welchem immer Sie wollen, Sir. Welches Sie für das geeignetere halten.«
»Ich schlage meines vor, welches die letzte Tür im Korridor ist und wo ich mich glücklich schätzen werde, Sie um elf zu sehen.«
Es war da etwas an den Manieren dieses jungen Mannes, das mir nicht ganz gefiel, und doch konnte ich nicht zu einem positiven Schluß kommen, ob er mich verdächtigte; daher hielt ich es für voreilig, zu fliehen, wenn dafür vielleicht überhaupt kein Anlaß bestand. Im Gegenteil, ich entschloß mich, das Ergebnis des Abends abzuwarten, das vielleicht verhängnisvoll für mich sein
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