18 Gänsehaut Stories
seine Zuflucht nimmt, wenn das Boot nicht einmal das fünfmal gereffte Segel mehr verträgt.
Das benachbarte Boot, das eine Weile nicht sichtbar gewesen, tauchte plötzlich neben Elias’ Boot wieder auf, mit ganz derselben Takelage wie dieses; aber die Mannschaft dort an Bord wollte ihm jetzt nicht recht gefallen. Die beiden, welche die Rah hielten und deren bleiche Gesichter er unter den Südwestern erblickte, schienen ihm bei der seltsamen Beleuchtung der Schaumwoge mehr Gespenstern als Menschen zu gleichen; auch sprachen sie kein einziges Wort.
Eine Strecke entfernt erblickte er jetzt wieder auf dem Wasser den hohen Kamm einer Sturzwelle, welche sich durch die Finsternis näherte, und er bereitete sich beizeiten darauf vor, sie zu empfangen. Das Boot wurde mit dem Steven direkt auf die Welle gelegt und das Segel so groß wie möglich geführt, um Schnelligkeit genug zu gewinnen, daß er die Welle durchschneiden und wieder aus ihr heraussegeln könnte. Herein brauste die Sturzwelle, tosend wie ein Wasserfall; wieder lagen sie einen Augenblick halb gekentert; aber als die Gefahr vorüber war, saß die Frau nicht mehr am Segel, und auch Anton stand nicht mehr da und hielt die Rah – sie waren beide über Bord gegangen.
Auch diesmal schien es Elias, als hörte er denselben unheimlichen Ruf in der Luft. Aber dazwischen hörte er deutlich seine Frau angstvoll seinen Namen rufen. Als er begriff, daß sie über Bord gespült war, sagte er nur: »In Jesu Namen!« und schwieg dann. Es war ihm so zumute, daß er ihr am liebsten gefolgt wäre, aber er fühlte zugleich, daß es nun galt, den Rest der Last zu bergen, die er noch an Bord hatte, nämlich Bernt und seine zwei anderen Söhne, der eine zwölf, der andere vierzehn Jahre alt, die nun im Hintersteven hinter ihm Platz erhalten hatten.
Bernt mußte allein auf die Rah achten; er und der Vater mußten sich so gut helfen, wie es gehen wollte. Das Steuerruder wagte Elias nicht loszulassen, und er hielt es mit eiserner Hand fest – sie war jedoch längst vor Anstrengung gefühllos geworden.
Eine Weile darauf tauchte das andere Boot wieder auf; es war, wie das erstemal, eine Zeitlang nicht zu sehen gewesen. Nun sah Elias auch mehr von dem großen Mann, der auf demselben Platz wie er selbst im Hintersteven saß. Aus seinem Rücken unterhalb des Südwesters stand, als er sich umwandte, ganz richtig eine lange Eisenpike, die Elias wiederzuerkennen glaubte. Dadurch ward ihm zweierlei klar: Erstens, daß es niemand anders war als das Seegespenst selbst, das sein Halbboot dicht neben ihm lenkte und ihn ins Verderben geführt, und zweitens, daß es so bestimmt war, daß er in dieser Nacht seine letzte Fahrt machte. Denn der, welcher das Seegespenst auf dem Meere erblickt, ist verloren. Er sagte nichts zu seinen Söhnen, um ihnen nicht den Mut zu rauben; aber in der Stille empfahl er Gott seine Seele. Seit einigen Stunden hatte er den Kurs ändern müssen, um dem Sturm auszuweichen; zugleich entstand nun ein Schneegestöber, und so sah er ein, daß er auf die Landung warten müßte, bis der Tag graute. Die Fahrt ging indes wie bisher. Von Zeit zu Zeit klagten die Knaben im Hintersteven, daß sie frören, aber dagegen war ja bei der Nässe nichts zu machen, und Elias war zudem mit ganz anderen Gedanken beschäftigt. Es hatte ihn ein so heißes Verlangen ergriffen, sich zu rächen, und er würde es auch getan haben, wenn er nicht das Leben seiner drei übrigen Kinder zu verantworten gehabt hätte. Dann würde er durch eine plötzliche Wendung versucht haben, das verfluchte Boot in den Grund zu segeln, das noch immer wie zum Hohn sich neben ihm hielt und dessen böse Absicht er nur allzu klar durchschaute. Konnte die Flunderpike früher das Gespenst treffen, so ließ sich auch wohl
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