18 - Geheimagent Lennet und die Doppelgängerin
weggeblieben. Also köderte er seinen Gegner, indem er mit kleinen Schritten rückwärts im Kreis ging.
Langsam kam der Orang-Utan mit hängenden Armen auf ihn zu.
Im Vorraum des Hörsaals war ein wunderschönes Rundbogenfenster, das bis zum Boden ging und den Blick freigab auf die große Aula der Sorbonne. Diese Aula war allein schon zwei Etagen hoch, so daß das Fenster von der Halle aus gesehen etwa fünf Meter über dem Fußboden lag. Und auf dieses Fenster ging Lennet langsam zu, Schritt für Schritt...
Obwohl der Geheimagent an schnelle Reaktionen gewöhnt war, hätte ihn der plötzliche Schlag des Orang-Utans umgeworfen, wenn er nicht vorher gesehen hätte, wie der Schläger Mousteyrac erledigt hatte. Wie ein wütender Stier warf er sich mit seinem ganzen Körper nach vorne, den Kopf voran.
Mindestens achtzig Kilo kamen in atemberaubender Geschwindigkeit auf Lennet zu...
Im Bruchteil einer Sekunde wich Lennet nach links aus, und der schwere Mann konnte nicht mehr bremsen...
Glas klirrte und schepperte, Holz brach mit dumpfem Ächzen, und dann ertönte ein dumpfer Schlag. Eine Sekunde lang war es ganz still, bevor aus der Aula wildes Stimmengewirr und Hilferufe zu Lennet empordrangen.
Aber Lennet nahm sich nicht mehr die Zeit, nachzusehen, was fünf Meter unter ihm geschah. Er drehte sich um und ging, als wäre nichts geschehen, zurück in den Hörsaal.
Doch die Doppelgängerin von Graziella war schon verschwunden.
Lennet hörte gerade noch, wie der Professor, der sich von den Studenten weg zum hinteren Teil des Hörsaals gedreht hatte, vorwurfsvoll sagte: »Dasch ischt der Profeschorenauschgang! Wenn Ihnen meine Vorleschung nischt gefällt, könnten Schie ja wenischtensch...
Lennet durchquerte mit einigen langen Sätzen eilig den Saal und rannte nun seinerseits auf den Professorenausgang zu.
»Noch einer? Dasch ischt ja die reinschte Epidemie!« schrie der Wissenschaftler wütend.
Hier und da wagten einige Studenten, leise zu lachen. Sie ahnten, daß sich vor ihren Augen ein Drama anbahnte. Ein paar von ihnen waren aufgestanden und in die große Aula gegangen, wo sie von dem tragischen Fenstersturz eines Kommilitonen erfahren hatten.
Währenddessen war Lennet an einer der Treppen angekommen, die zu den Ausgängen führten. Er wußte, daß Poli unten an der Tür stand. Er horchte. Schritte auf der Treppe...
Poli kam ihm entgegen! »Herr Leutnant, das Mädchen wollte hier raus. Aber da war noch ein Mann bei ihr, und der hat gesagt: ,Nein, nicht hier', als er mich gesehen hat, und dann sind sie in die andere Richtung dort drüben hin gelaufen.
In diesem Moment hörte Lennet, wie Sosthene sich hektisch meldete. Er zog sein Walkietalkie aus der Tasche.
»Nummer 4, Nummer 4, hören Sie mich? Melden Sie sich doch!«
»Hier ist Nummer 4", antwortete Lennet ruhig. »Was gibt's?«
»Also erstens ist hier eben ein Mann runtergefallen. Genau mir vor die Füße und...«
»Das weiß ich. Ich hab ihn runtergeworfen. Und zweitens?«
»Zweitens ist das Mädchen gerade hier vorbeigekommen und rennt weiter durch den Flur. Ich...« Lennet hörte nicht weiter zu.
»Poli, die können durch den Innenhof auf die Straße. Schnell, laufen Sie und halten Sie sie auf!« Er schaltete das Walkietalkie wieder ein.
»Nummer 2?«
»Ja, ich bin da. Ich hab Sie nicht mehr gehört. Ich dachte schon...«
»Hören Sie auf zu denken. Laufen Sie hinter dem Mädchen her und rufen Sie mich, wenn Sie sie haben!« Lennet lehnte an einer Aufzugtür und hielt das Sprechfunkgerät an sein Ohr.
»Hier ist Nummer 3", meldete sich nun Poli wieder. »Bei mir gibt's nichts Neues!«
»Ist gut. Dann gehen Sie wieder auf Ihren Posten an der Tür!« Lennet rannte weiter. Er kam an der großen Aula vorbei, in der sich ein Menschenauflauf um den leblosen Körper des Orang-Utans gebildet hatte. Gross meldete sich. »Nummer 4?«
»Was ist?« fragte Lennet.
»Hier ist Nummer 1. Das Mädchen kommt jetzt genau auf mich zu. Sie hat einen Typ dabei. Der hat vielleicht 'ne Visage! Sie rennen durch den Kasernenhof - ach, Mist, natürlich meine ich Schulhof oder so!«
»Versuchen Sie sie zurückzudrängen, egal wie!«
»Mach ich! Endlich kommt mal Leben in die Bude!« Langsam ging Gross durch den mittleren Innenhof der Sorbonne auf die »falsche" Graziella und den Neandertaler zu und versperrte ihnen den Weg.
»Halt! Entweder ihr schreit jetzt sofort ,Es lebe die Fremdenlegion!', oder ich mache Hackfleisch aus euch!«
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