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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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zer­ris­se­nen Fet­zen un­ter dem Mon­de hin, so daß der Kirch­hof mit sei­nen wei­ßen Kreu­zen und Lei­chen­stei­nen bald in vol­ler, bald in däm­mern­der Be­leuch­tung lag. Dann und wann fuhr der Wind mit hoh­lem, klap­pern­dem Ge­tö­se über die Grä­ber, saus­te durch die ent­blät­ter­ten Lin­den, pfiff mit kla­gen­dem Lau­te durch Ge­sträuch und Sta­ket, ver­fing sich in der Ecke bei der Kir­che, jag­te dann über das Kir­chen­dach und dreh­te die ros­ti­ge Wet­ter­fah­ne mit ei­nem knar­ren­den Laut, der ei­nem gel­lend in die Oh­ren schnitt. Ich schau­te zur Lin­ken – dort er­blick­te ich ein Paar selt­sa­me wei­ße Ge­stal­ten, die sich wel­len­för­mig im Mond­licht zu be­we­gen schie­nen. »La­ken«, sag­te ich bei mir selbst, »nichts an­ders als wei­ße La­ken! Ver­wünsch­te Un­sit­te, Wä­sche auf dem Kirch­ho­fe zu trock­nen, man soll­te einen Ar­ti­kel im ›Po­li­zei­freun­de‹ dar­über schrei­ben!« Ich blick­te zur Rech­ten, dort lag ein Hau­fen Kno­chen, nicht zwei Schrit te von mir ent­fernt. Ich nä­her­te mich den­sel­ben mit der La­ter­ne in der lin­ken Hand; tas­tend streck­te ich die rech­te nach ih­nen aus, da ra­schel­te es in dem Hau­fen, er sank zu­sam­men, und et­was War­mes und Wei­ches be­rühr­te mei­ne Hand. Ich zuck­te zu­sam­men. »Rat­ten!« sag­te ich bei mir selbst, »Kirch­hofs­rat­ten, nichts als Kirch­hofs­rat­ten! Oh, mein Gott! Ich ängs­ti­ge mich so; aber nein, ich will mich nicht ängs­ti­gen, das ist ja lä­cher­lich, – al­bern – wo, zum Hen­ker, bleibt doch der Arm? Es ist ja kein ein­zi­ger hei­ler da!«
    Mit fie­bern­der Hast und schlot­tern­den Kni­en durch­wühl­te ich einen Hau­fen nach dem an­dern. Das Talg­licht zit­ter­te und fla­cker­te im Win­de, plötz­lich er­losch es, und als der fet­te, stin­ken­de Un­schlitts­dunst mir ent­ge­gen­schlug, wur­de mir fast übel zu­mu­te. Mit ei­ner ge­wal­ti­gen Kraft­an­stren­gung faß­te ich mich wie­der, eil­te ein paar Schrit­te vor­wärts, und ge­wahr­te am En­de des Kirch­hofs einen Sarg, der, noch bei­na­he ganz er­hal­ten, aus der Er­de ge­ho­ben und un­ter ei­ne Hän­ge-Esche ge­stellt war. Ich nä­her­te mich dem­sel­ben und sah, daß er von alt­mo­di­scher Form, aus ziem­lich schwe­ren, aber jetzt halb ver­mo­der­ten Boh­len ge­zim­mert war, und daß er ei­ne Me­tall­plat­te mit ei­ner fast er­lo­sche­nen In­schrift auf dem De­ckel trug. An der einen Ecke hat­te der Zahn der Zeit so an den mor­schen Bret­tern ge­nagt, daß ich ihn mit An­wen­dung ei­nes Brech­ei­sens leicht muß­te öff­nen kön­nen. Ich schau­te mich um – ei­ne Haue lag auf der Er­de ne­ben ei­nem Paar Spa­ten; ich er­griff einen der letz­te­ren, stemm­te das Blatt zwi­schen die Bret­ter, und mit ei­nem dump­fen Krach spreng­te ich den De­ckel auf. Mit ab­ge­wand­tem Ge­sicht schob ich die Hand durch die Öff­nung, tas­te­te um­her und er­faß­te einen Arm des Ske­letts, den ich mit ei­nem kräf­ti­gen Ruck ab­riß. Da­durch lös­te sich der Kopf des Ske­let­tes und roll­te mir im sel­ben Au­gen­blick fast ge­ra­de vor die Fü­ße. Ich er­griff ihn und woll­te ihn wie­der in den Sarg le­gen, aber ich sah in sei­nen lee­ren Au­gen­höh­len einen grün­li­chen und phos­pho­res­zie­ren­den Glanz schim­mern, der ab­wech­selnd kam und ver­schwand; ein Fie­ber­grau­sen, ein fast wahn­wit­zi­ger Schreck er­griff mich. Ich zwang mich, in die Hö­he zu se­hen, und mein Blick fiel auf ein ein­zel­nes er­hell­tes Fens­ter in der Häu­ser­rei­he ge­gen­über. Dort saß ein halb­nack­tes, ge­schmink­tes Frau­en­zim­mer, im Halb­schlum­mer ni­ckend, bei ei­nem fast nie­der­ge­brann­ten Licht­stump­fe. Ich sah hin­ab – die lee­ren Au­gen­höh­len leuch­te­ten noch, aber mit ei­nem stär­ke­ren Glän­ze als vor­her. Ich muß­te Ge­wiß­heit ha­ben, ich muß­te ei­ne na­tür­li­che Er­klä­rung die­ses Phä­no­mens fin­den, wenn ich nicht wahn­sin­nig wer­den soll­te, – das fühl­te ich. Ich er­griff den Schä­del wie­der, aber nie ha­be ich einen so über­wäl­ti­gen­den Ein­druck von dem Ge­setz der Ver­gäng­lich­keit emp­fan­gen wie in die­sem Au­gen­blick.

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