18 Geisterstories
zerrissenen Fetzen unter dem Monde hin, so daß der Kirchhof mit seinen weißen Kreuzen und Leichensteinen bald in voller, bald in dämmernder Beleuchtung lag. Dann und wann fuhr der Wind mit hohlem, klapperndem Getöse über die Gräber, sauste durch die entblätterten Linden, pfiff mit klagendem Laute durch Gesträuch und Staket, verfing sich in der Ecke bei der Kirche, jagte dann über das Kirchendach und drehte die rostige Wetterfahne mit einem knarrenden Laut, der einem gellend in die Ohren schnitt. Ich schaute zur Linken – dort erblickte ich ein Paar seltsame weiße Gestalten, die sich wellenförmig im Mondlicht zu bewegen schienen. »Laken«, sagte ich bei mir selbst, »nichts anders als weiße Laken! Verwünschte Unsitte, Wäsche auf dem Kirchhofe zu trocknen, man sollte einen Artikel im ›Polizeifreunde‹ darüber schreiben!« Ich blickte zur Rechten, dort lag ein Haufen Knochen, nicht zwei Schrit te von mir entfernt. Ich näherte mich denselben mit der Laterne in der linken Hand; tastend streckte ich die rechte nach ihnen aus, da raschelte es in dem Haufen, er sank zusammen, und etwas Warmes und Weiches berührte meine Hand. Ich zuckte zusammen. »Ratten!« sagte ich bei mir selbst, »Kirchhofsratten, nichts als Kirchhofsratten! Oh, mein Gott! Ich ängstige mich so; aber nein, ich will mich nicht ängstigen, das ist ja lächerlich, – albern – wo, zum Henker, bleibt doch der Arm? Es ist ja kein einziger heiler da!«
Mit fiebernder Hast und schlotternden Knien durchwühlte ich einen Haufen nach dem andern. Das Talglicht zitterte und flackerte im Winde, plötzlich erlosch es, und als der fette, stinkende Unschlittsdunst mir entgegenschlug, wurde mir fast übel zumute. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung faßte ich mich wieder, eilte ein paar Schritte vorwärts, und gewahrte am Ende des Kirchhofs einen Sarg, der, noch beinahe ganz erhalten, aus der Erde gehoben und unter eine Hänge-Esche gestellt war. Ich näherte mich demselben und sah, daß er von altmodischer Form, aus ziemlich schweren, aber jetzt halb vermoderten Bohlen gezimmert war, und daß er eine Metallplatte mit einer fast erloschenen Inschrift auf dem Deckel trug. An der einen Ecke hatte der Zahn der Zeit so an den morschen Brettern genagt, daß ich ihn mit Anwendung eines Brecheisens leicht mußte öffnen können. Ich schaute mich um – eine Haue lag auf der Erde neben einem Paar Spaten; ich ergriff einen der letzteren, stemmte das Blatt zwischen die Bretter, und mit einem dumpfen Krach sprengte ich den Deckel auf. Mit abgewandtem Gesicht schob ich die Hand durch die Öffnung, tastete umher und erfaßte einen Arm des Skeletts, den ich mit einem kräftigen Ruck abriß. Dadurch löste sich der Kopf des Skelettes und rollte mir im selben Augenblick fast gerade vor die Füße. Ich ergriff ihn und wollte ihn wieder in den Sarg legen, aber ich sah in seinen leeren Augenhöhlen einen grünlichen und phosphoreszierenden Glanz schimmern, der abwechselnd kam und verschwand; ein Fiebergrausen, ein fast wahnwitziger Schreck ergriff mich. Ich zwang mich, in die Höhe zu sehen, und mein Blick fiel auf ein einzelnes erhelltes Fenster in der Häuserreihe gegenüber. Dort saß ein halbnacktes, geschminktes Frauenzimmer, im Halbschlummer nickend, bei einem fast niedergebrannten Lichtstumpfe. Ich sah hinab – die leeren Augenhöhlen leuchteten noch, aber mit einem stärkeren Glänze als vorher. Ich mußte Gewißheit haben, ich mußte eine natürliche Erklärung dieses Phänomens finden, wenn ich nicht wahnsinnig werden sollte, – das fühlte ich. Ich ergriff den Schädel wieder, aber nie habe ich einen so überwältigenden Eindruck von dem Gesetz der Vergänglichkeit empfangen wie in diesem Augenblick.
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