1803 - Der Riese Schimbaa
länger warten!"
Der Gesang wurde lauter, ein vielstimmiger Kanon. Die Menge wiegte sich im Rhythmus der Melodie.
„Hilf uns, Schimbaa! Du bist der fliese, die Gestalt aus unseren Träumen, der Riese Schimbaa. Schütze unseren Schlaf, erfülle unsere Wünsche, und lenke unsere niemals endende Wanderschaft!"
Fasziniert verfolgte Cistolo Khan das Geschehen. Auch tagsüber hatten Herreach auf dem Tempelplatz gebetet, doch nicht mit dieser Intensität. Eine eigenartige Stimmung breitete sich aus, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, wie Khan es selten erlebt hatte. Ein leichter Schauder lief seinen Rücken hinab.
War es die Melodie, die ihn faszinierte? Ein eigentümlicher Sprechgesang, fremd und dennoch seltsam vertraut. Oder wirkte nur der Widerhall, das vielfache Echo aus den Straßen der Stadt?
„Wir haben lange gewartet, Kummerog. - Der Himmel ist zerrissen, die Prophezeiung muß sich erfüllen. Laß dein Volk nicht länger warten."
„Was ist das?" rief jemand. Khan hörte die aufgeregte Stimme über Helmfunk. „Was geschieht da?"
„Ich sehe es, aber ich kann es nicht orten. Sieht aus, als versuche etwas zu materialisieren."
„Kummerog?" stieß der erste ungläubig hervor.
Auch Cistolo Khan sah die Erscheinung, eine eher nebelhafte, humanoide Gestalt. Keine zweihundert Meter vor dem Tempeltor. Vier bis fünf Meter groß, ein massiges Geschöpf, das sich aus dem Nichts heraus verdichtete.
„Wir brauchen ein Fesselfeld. Sofort."
„Okay. Die Projektoren ausrichten. Jetzt."
Die Gestalt verschwand. So überraschend, wie sie sich aus dem Halbdunkel zwischen Scheinwerferbatterien und der Stadt herausgeschält hatte.
„Träume ich? Verdammt, was war das?"
„Vielleicht kommt es wieder."
„Ich sage euch, Leute, das war Kummerog."
„Nach zweihundertfünfzig Millionen Jahren?"
„Warum nicht? Zeigt mir das, was auf Trokan der Norm entspricht!"
„Achtung, drüben bei den Projektoren drei und vier, laßt die Herreach nicht passieren. Sie stören das Meßfeld."
„Leicht gesagt, die Burschen sind hartnäckig."
Mindestens vierzig Eingeborene, überwiegend Träger von weißen Kutten, näherten sich dem offenstehenden Tor. Nacheinander durchbrachen sie die ersten der fahl flirrenden feinen Meßstrahlen.
„Sie stören die Versuchsanordnung. Was soll der Unsinn?"
„Haltet sie zurück!"
Die Herreach reagierten nicht. In Trance, mit seltsam schwankenden Bewegungen, schritten sie weiter aus. Bis einer der Techniker endlich eine energetische Barriere aufbaute. Von da an wirkten die Herreach wie Motten, die eine leuchtende Glühbirne umkreisten und immer wieder abprallten, sobald sie versuchten, sich ins Licht zu stürzen. Schier unermüdlich wirkte ihr Bemühen, sich dem Tor zu nähern.
Vergeblich tasteten die Herreach über die unsichtbare Sperre. Einige wichen zurück, aber nur, um mit neuem Anlauf ihren Weg fortzusetzen. Wieder und wieder wurden sie aufgehalten, doch sie wirkten unbeirrbar in ihrem Drang, den Tempel zu erreichen.
Ein Stern fiel vom Himmel, in einigem zeitlichen Abstand von einem dumpfen, anschwellenden Rauschen gefolgt. Ein lauer Luftschwall fegte über die Stadt hinweg.
Die Korvette senkte sich tiefer über den Fluß, schwebte majestätisch vor dem großen Steingebäude am anderen Taumond-Ufer vorbei, das die Städter als Bethaus bezeichneten. Nach dem Kummerog-Tempel war es das eindrucksvollste und größte Gebäude und weit im Umkreis zu sehen.
„Mir ist klar, Cistolo, daß wir die Herreach mit einem solchen Gewaltmanöver erschrecken.
Andererseits ist das nur ein fader Vorgeschmack dessen, was sie erwartet. Nur wenige hundert Kilometer südlich braut sich ein Blizzard zusammen, den sie nicht so schnell vergessen werden."
„Brauchen wir Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung, Bruno?"
„Eine Warnung dürfte genügen."
„Das ist nicht alles, oder?"
Drenderbaum lachte verhalten. „Bin ich wirklich so leicht zu durchschauen? Zum einen habe ich einen Herreach an Bord, der aus dem Staunen nicht mehr herauskommt; ihm schwillt der Rüssel wie manch anderem der Kamm. Wenn ich ihn recht verstehe, vergleicht er unsere PAP-K 4 mit dem Labyrinth von Norrfa, was immer damit gemeint ist. Er redet von vielen farbigen Knöpfen mit blinkenden Lichtern und einer Person, die er A-Jin-Di nennt."
„A-Jin-Di?" wiederholte Khan.
„Ich dachte mir, daß du das fragen würdest." Drenderbaum räusperte sich. „Er ist überaus aufgeregt, aber er phantasiert nicht. Wenn ich mich nicht
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