1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Besorgnis sie scheinen läßt, darauf wollen wir auch diesmal hoffen.«
Rasinski erwiderte auf diese letzten Worte nichts; er bot der Mutter den Arm, um sie in das Nebenzimmer zu führen, wo man abends gewöhnlich versammelt war. Marie ging, um ihre Bewegung zu verbergen, hinaus, um Licht und den Tee zu besorgen, welchen Rasinski diese letzten Abende her stets mit ihnen eingenommen hatte. Diese häuslichen Geschäfte nahmen einige Minuten weg; erst nachdem alles geordnet war und Marie bereits mit stiller Freundlichkeit die Pfichten der Wirtin geübt hatte, begann Rasinski, da jetzt keine Störung mehr zu befürchten war, folgendermaßen: »Ich muß diese letzte Stunde zu Mitteilungen benutzen, die ich Ihnen, so traurig sie auch sein mögen, nicht ersparen kann. Ludwig hat sich bei seiner Rückkehr aus Italien einer Handlung schuldig gemacht, welche unser strenges Kriegsgesetz, das ich durch nichts entschuldigen will als durch seine Notwendigkeit; unwiderruflich mit dem Tode bestraft. Er ist einer Person, die ich selbst nicht näher kenne, an deren Habhaftwerdung aber dem Kaiser alles gelegen war, weil sich höchst wichtige Dokumente in ihrer Hand befanden, zur Flucht behilflich gewesen, und zwar in einem Augenblicke, wo man sie schon zu erreichen hoffte. Deshalb wurde er, da man ihn zufällig in Pillnitz entdeckte und als Täter erkannte, verhaftet; mit Bernhards Hilfe gelang es ihm, sich der Haft wieder zu entziehen, worauf so strenge Befehle zur Verfolgung beider gegeben wurden, daß sie schleunigst fliehen mußten. Dazu gab es nur ein Mittel, es gab nur eines, ihr Leben zu retten; das stand glücklicherweise in meiner Gewalt. Der Ausweg war rauh, aber unvermeidlich.«
Hier zögerte er einen Augenblick; die Frauen sahen ihn ängstlich gespannt an. »Unsere Freunde,« fuhr er mit einem weichen Ausdruck der Stimme fort, die die Härte der Mitteilung zu mildern versuchen sollte, »unsere Freunde konnten sich vor ihren Feinden am sichersten nur dadurch retten, daß sie sich ihnen am nächsten anschlossen und sich dahin begaben, wo man sie am wenigsten vermuten kann – sie tragen jetzt die Kleidung, die ich selbst trage.«
»Allmächtiger Gott!« rief Marie aus, »sie dienen in dem französischen Heere?«
»Ich weiß, was Sie, sagen wollen,« entgegnete Rasinski; »Sie führen die Waffen gegen ihr Vaterland!«
Die Mutter hatte diese Nachricht mit einem sprachlosen Schrecken vernommen. Sie schien Rasinskis Worte noch nicht ganz gefaßt zu haben, so ängstlich fragend hefteten sich ihre Blicke an dessen Lippen. Marie vermochte ihrem Schmerz nicht zu gebieten; sie warf sich weinend an die Brust der Mutter und rief aus: »O Mutter, Mutter! Nun sind wir ganz unglücklich! Was kann nun noch geschehen?« Die Mutter war unfähig, ihr zu antworten; sie preßte die Tochter in ihre Arme; ein heftiges, fast krampfhaftes Schluchzen drohte ihrer kranken Brust den Atem zu rauben. Rasinski wurde durch diesen Anblick mehr als schmerzlich verwundet; er wurde auf das tiefste gekränkt, ja fast beleidigt. Denn nach dem, was zwischen ihm und Marien vorgefallen war, mußte er sich und die Sache, der er mit ganzer Seele diente und anhing, für wahrhaft verabscheut halten. Sein männlicher Stolz lehnte sich unwillig gegen diese Ansicht auf. Aber er bedachte den Schmerz der Mutter, er sah Mariens Tränen, und seine Seele war versöhnt. »Weinen Sie Ihren Schmerz aus,« sprach er teilnehmend, »ich begreife, daß er groß ist; versagen Sie aber darum dem Freunde, der es wohlwollend und redlich meinte, nicht Gehör. Was er zu seiner Rechtfertigung zu sagen hat, wird auch zu Ihrem Troste dienen.« Die Mutter suchte sich zu fassen; sie winkte ihm mit dem Haupte zu, daß er sprechen möge; sie selbst war noch unfähig dazu. Auch Marie, die es bereuete, in ihrer Heftigkeit dem edeln Manne so weh getan zu haben, suchte ihn freundlich anzublicken und wiederholte den Wink der Mutter.
»Sie betrachten gewiß,« begann Rasinski, »die Verhältnisse zu schroff. Ich will es glauben, daß der Deutsche Ursache hat, den Franzosen zu hassen; ich finde es natürlich, daß er ihn haßt. Aber ist darum alles, was Frankreich tut, gegen Deutschlands Wohl gerichtet? Teilen nicht viele der geachtetsten Männer die Ansicht, daß ein freies, aufrichtiges Bündnis beider Völker beiden zum Heil gereichen würde? Und ist nicht in diesem Augenblick ein solcher Bund geschlossen? Fechten nicht die Heere des Rheinbundes, Österreichs, Preußens, ja selbst Sachsens,
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