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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Munterkeit und liebkosendes zutuliches Wesen es Marien so lieb wie ein Schwesterchen machten, wenn sie auch nicht die Pate der Kleinen gewesen wäre. Anna fand sich geehrt dadurch, daß sie mit ihrem Strickzeug, einer kleinen Dame gleich, an dem Teetisch der fremden Herrschaften sitzen konnte; Therese ergötzte durch ihr munteres Plaudern und ihre naiven Fragen. Marie sorgte für beide mit der Freundlichkeit einer ältern Schwester und munterte sie durch ein Eingehen auf ihre kindischen Vorstellungen zur freiesten Äußerung ihres Wesens auf, bis endlich Therese, ungeduldig, so lange zu sitzen, mit einem Stückchen Zucker in der Hand munter davonhüpfte und Marien aufforderte, sie zu haschen. Einem kleinen Amor gleich schlüpfte das Kind durch die Gebüsche, um der mit scherzhafter Drohung nacheilenden Marie zu entfliehen; diese trieb absichtlich das mutwillige Spiel eine Zeitlang fort, weil es gar zu reizend ließ, wenn die Kleine ihr Lockenköpfchen hinter den Zweigen eines grünen Busches hervorsteckte und mit ihrem Silberstimmchen fragte: »Siehst du mich, Tante?«
    Indessen war die Abendröte fast verduftet, und bläuliches Mondlicht mischte sich mit der rosigen Dämmerung, die sich über den Garten ergoß; die Sichel des Neumonds schwebte auf dem blauen ruhigen Ozean des Himmels und warf silberne Blicke zwischen die flüsternden Gebüsche hindurch. Die Kinder mußten nun hinauf, um schlafen zu gehen, und Therese war auch, nachdem dem aufregenden Spiel der Neckereien die Abspannung gefolgt war, herzlich müde. Sie folgte daher willig der Dienstmagd und ließ sich hinauftragen. Die zunehmende Abendkälte nötigte auch die Mutter, das Gemach zu suchen; Marie ging noch eine Zeitlang im Garten auf und nieder, dann folgte auch sie nach und genoß bald einer sanften, erquickenden Ruhe, die selbst das trauernde Herz nicht flieht, wenn es zugleich ein reines ist.
    Mit dem nächsten Tage begannen die Einrichtungen, welche man für den Gebrauch des Bades zu treffen hatte; ein sehr frühes Aufstehen wurde notwendig, die übrigen Beschäftigungen mußten danach geregelt werden. Dahin gehörten auch die Spaziergänge, welche der Arzt verordnete. Marie begleitete ihre Mutter überall; während sich dieselbe im Bade befand, pflegte sie mit einigen Bekanntinnen aus Dresden, die sich gleichfalls als Badegäste eingefunden hatten, einen Spaziergang, zumeist im Schloßgarten, zu machen. Auf diesem wurde Marie, so eingezogen sie übrigens lebte, doch allmählich mit den verschiedenen, zum Teil seltsamen Figuren, welche sich in dem Badeort versammelt hatten, bekannt. Nach und nach wußte man, mit wem man die Badezeit zubrachte, Abreisende wurden vermißt, Neuankommende sogleich bemerkt. Die größere Freiheit des Umgangs, welche in einem Bade herrscht, brachte es mit sich, daß man auch mit fremden Männern leicht in ein Gespräch geriet. Diese schlossen sich auch sehr gern an die Gruppe an, in welcher sich Marie befand; denn ihr feiner Wuchs erregte schon von ferne Aufmerksamkeit, ihre zierliche, wiewohl sehr bescheidene Tracht reizte näher zu gehen, der sanfte, weibliche Ausdruck ihrer Züge, der treue Blick des blauen Auges und vor allem ihr einnehmendes, von spröder Zurückgezogenheit wie von anmaßendem Hervortreten gleich entferntes Wesen fesselten so mächtig, daß sich ältere wie jüngere Männer bestrebten, in ein Gespräch mit ihr zu kommen. Auch Frauen fühlten sich durch Mariens Wesen ungemein angezogen, und einstimmig bedauerte man es, daß diese liebenswürdige Erscheinung nur in der einen Morgenstunde sichtbar war und für den ganzen übrigen Teil des Tages verschwand. Zum Teil war dies eine Täuschung; denn obwohl Marie nur die schönsten Abende zu Spaziergängen benutzen konnte, weil die Mutter jede Feuchtigkeit und Kühle scheuen mußte, so war sie doch nicht selten mit dieser und auch wohl im Kreise einiger nähern Bekannten in den schönen Umgebungen von Teplitz anzutreffen. Freilich aber wählte sie nicht jene von der großen Welt besonders vorgezogenen Orte, wo sich eine glänzende Menge zu versammeln pflegte, sondern sie suchte schöne, aber einsame Punkte am liebsten auf, wo sich kein anderer Genuß darbot als der jener reinen, erquickenden Gaben, welche die Natur uns aus nächster Hand wohlwollend reicht. Indessen hatte Mariens Erscheinen auf den Morgenspaziergängen sie doch der jüngern Badewelt nachgerade so bekannt gemacht, daß man ihre Gegenwart bei einem ländlichen Fest, welches man veranstalten

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