1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
sollte.«
»Mir scheint diese Anklage doch nicht ganz gerecht,« wandte Marie ein; »denn erstlich finden wir wohl viele Spuren, daß unsere Väter das Schöne, Schauerliche und Erhabene in der Natur sehr bestimmt gefühlt haben, wie dies ja schon die Namen ausgezeichneter Berge, Felsen und Schluchten beweisen; zweitens aber war die Sage doch gewiß nichts rein Willkürliches, und wenn sie sich auch zum Teil aus der Örtlichkeit selbst erzeugte, so bedurfte sie doch auch gewiß einer Begebenheit, einer Handlung, so daß man sie gewissermaßen als eine geheimnisvolle Tochter der Tat und des Orts betrachten kann. Und wie häufig findet sich's, daß auch der Schauplatz der Begebenheiten ungemein tief mit diesen selbst in Verbindung steht.«
»Sie haben gewiß recht,« erwiderte Benno ein wenig errötend; »indessen kommen auch manche, Beispiele vor, wo sich die schönsten Märchen an eine wenig hervortretende Örtlichkeit knüpfen, und eines davon ist meine Erzählung. Doch gestehe ich gern, daß meine allgemeine Schlußfolge aus diesen Beispielen etwas zu rasch war.«
»Dem sei wie ihm wolle,« sprach die Gräfin, »Ihre Erzählung hat uns eine angenehme Stunde bereitet. Ich als Monarchin habe die Verpflichtung, den Dichter meines Minnehofes zu belohnen, und ich denke, es soll in wahrhaft fürstlicher Weise geschehen. Die Erzählung ist auf dem reinen Boden der Natur gewachsen; mit ihren reinen ursprünglichen Gaben soll sie auch belohnt werden. Sie empfiehlt auf eine eindringliche Weise die Treue als die wahrhafte Seele der Liebe und nimmt sich somit insbesondere unsers Geschlechts an, welches von der Treulosigkeit der Männer so viel zu dulden hat. Es ist daher billig, daß eine weibliche Hand dem sinnvollen Dichter, für den uns der Erzähler gelten muß, belohne. Ich befehle also allen Jungfrauen unsers Hofes, sich aufzumachen, um die schönsten Feldblumen zu suchen. Bei der Rückkehr unserer schönen Edelfräulen werde ich selbst drei von ihnen auswählen, um einen Kranz aus den Blumen zu flechten, und hierauf soll das Los entscheiden, welche dieser drei den Dichter bekrönen und, solange unser Reich dauert, seine Gefährtin sein wird.«
Ein allgemeiner Beifall erhob sich, als die Monarchin diesen Beschluß bekannt machte. Die Männer klatschten freudig in die Hände und priesen die Fürstin hoch, welche einen Liebeshof so trefflich zu regieren wußte. Erlhofen ergriff mit komischem Pathos einen Zweig als Zepter, erhob ihn mit feierlicher Gebärde und rief: »Ihr, meine Völker! Vernehmt! Ich erteile hiermit dem Ausspruch unserer königlichen Gemahlin meine allerhöchste Sanktion. Gehet also hin, ihr Jungfrauen, und kehrt nicht eher wieder, bis ihr das Gebiet unsers Reichs seiner schönsten Blumen beraubt habt.«
Auf diese Rede erhoben sich die Mädchen und zogen mit ihren flatternden, schimmernden Gewändern in den grünen Wald hinein, um an sonnigen Stellen die Blumenlese zu beginnen. Viele der Männer hatten große Lust, die Frauen zu begleiten, doch die Monarchin verbot es streng, denn auf diesem Zuge sollten die Jungfrauen unbegleitet bleiben. Man hatte also nur von ferne den Anblick, die anmutigen Gestalten auf dem Rasen hin und wieder schweben, in den Gebüschen bald verschwinden, bald wieder erscheinen, sie sich bücken, die gepflückten Blumen in den Körbchen sammeln, bei einer gleichzeitig entdeckten schönen Blüte wetteifernd darauf zueilen, kurz alle jene anmutigen Bewegungen und Tätigkeiten ausüben zu sehen, die der weiblichen Jugend so wohl stehen. – »Sieht der Wald nicht aus, als wäre er von Nymphen bevölkert?« fragte die Gräfin lächelnd, indem sie auf die blumenpflückenden Mädchen hindeutete. – »Es sind die lieblichsten Oreaden, Dryaden, Hamadryaden, Sylphiden, Elfen und Waldschwestern, die ich jemals gesehen«, rief Erlhofen aus. Man sprach scherzhaft noch manches hin und her über das glückliche Los des Dichters, über den Eifer der Frauen, ihn zu belohnen, über das zweifelhafte Glück, seine Gefährtin zu werden; indessen hatten die jungen Mädchen ihre Körbchen bald gefüllt und kehrten zur Gesellschaft zurück. Sie schütteten ihren Vorrat auf den Rasen und die Königin betrachtete ihn mit prüfendem Wohlgefallen. »Sehr schön,« sprach sie; »jetzt werde ich meine Kranzwinderinnen ernennen,« Ihre Wahl fiel auf Marie, Lodoiska und Luise, die sehr artige Tochter eines wohlhabenden Mannes aus Teplitz, die von den Brunnengästen, welche in ihrem Hause wohnten, zu der
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