1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
nicht mehr das Opfer meines Lebens schuldig.« – »Du hast es gebracht,« unterbrach sie Gregor sanft, aber mit heiligem Ernst, »du bist die Gattin des Fürsten Ochalskoi, das unauslösliche Sakrament der Kirche hat euch vereinigt, denn dieses Band vermag nichts zu trennen als der Tod.« – »O himmlische Barmherzigkeit!« rief Feodorowna aus, »auch dann nicht, wenn es durch Trug und Lüge geschlossen ist?«
»Auch dann nicht, meine Tochter!«
»So mag ich seine Gattin heißen; aber niemals will ich es sein, bis mir der Bruder, den sie mir geraubt, zurückgegeben ist. O warum leuchtete das Licht der Wahrheit nicht einen einzigen Tag früher in das schwarze Gewebe des Trugs, ehe es die unauflöslichen Ketten um mich schlang! Gregor, ihr konntet mich retten aus diesem Abgrunde des Jammers, aber euere eherne Lippe schwieg!« Erschöpft sank sie auf einen Sessel und ließ die Arme ermattet niedersinken. Gregor trat zu ihr und ergriff mit der Rechten sanft ihre Hand, während er mit der Linken zum Himmel deutete. »Gelübde sind heilig, sind unverbrüchlich, meine Tochter. Der Herr segnet die, die ihm ihr Wort mit Treue halten. Dessen gedenke auch du, die du heute an heiliger Stätte ewige Treue, Liebe und Gehorsam gelobt hast. Und bedenke die Bitten der Sterbenden, bedenke, daß das Schicksal-«
»Wie?« rief Feodorowna heftig, »soll mich die Furcht vor einer neuen Freveltat dessen, der mir den Bruder raubte, zurückschrecken, meine heiligsten Rechte geltend zu machen? Ruschka fürchtet das Schicksal ihrer Brüder; soll ich darum dem meinigen auf ewig entsagen? Nein, hintreten werde ich vor den Grafen Dolgorow und ihn fragen: Wo ist mein Bruder? Nur seine Lippe vermag ihn mir zurückzugeben-«
»Teuere Tochter, du bist außer dir, du weißt nicht, was du tun willst,« entgegnete Gregor besänftigend; »aber du mußt ruhiger werden und anders handeln. Wie, wenn Graf Dolgorow Ruschkas Bekenntnisse verleugnete? Und muß er es nicht, wenn er nicht die verderblichsten Folgen auf sein Haupt laden will? Oder wähnst du, der Mut zur Lüge werde dem fehlen, der den Mut zur Tat besaß? Welche Beweise hast du wider ihn? Wird sein Zeugnis nicht so viel gelten als das der Leibeigenen Ruschka? Hast du die heilige Taufe nicht als seine Tochter empfangen? Habe ich selbst dir nicht in dieser Kirche die Schläfe genetzt mit dem geweihten Wasser des Herrn? O meine Tochter, bezwinge jetzt dein überwallendes Herz, denn nur Leid auf Leid würdest du häufen! Den Haß des Vaters, der Mutter, des Gatten würdest du auf dich laden, Zwietracht und Verwirrung aussäen und durch sie doch selbst nicht Rat, nicht Trost gewinnen. Und könntest du der heiligen Gelübde vergessen, die du vor wenigen Stunden getan? Ist es dein Gatte, der dich getäuscht hat? Darfst du ihm Treue und Gehorsam versagen, weil andere gegen dich ein Unrecht übten? Und war dieses Unrecht nicht mit tausend Wohltaten gegen dich verknüpft? Bist du nicht mit Sorgfalt und Liebe gepflegt worden ? Waren deine Pfleger nicht gleich deinen Erzeugern? Nein, meine Tochter, weiche nicht ab von dem Pfade der Sanftmut und Duldung, den der Herr dich gehen heißt. Bleibt dir noch eine Hoffnung den Bruder wiederzufinden, so bleibt sie dir nur, wenn du jetzt schweigend das Geheimnis in der Tiefe deiner Brust begräbst. Und weißt du denn, ob du nicht das Verderben über sein eigenes Haupt heraufführst,wenn du forderst, daß er dir zurückgegeben werde? Ahnest du, wie fern oder wie nahe er dir ist? Höre die Worte deines alten treuen Vaters, gelobe es in seine väterliche Hand, daß du seinem Rat folgen willst, dann wird er dir, solange er noch auf Erden wandelt, mit getreuer Liebe zur Seite stehen. Und ruft ihn der Herr hinüber, so soll sein Gebet dir noch jenseit den Segen des Himmels erflehen.«
Der Greis hielt Feodorownas Hand in seiner Rechten. Ein krampfhaftes Zucken bebte durch ihre im heftigsten Kampfe streitende Brust. »Nun wohl denn, es sei« sprach sie endlich. »Auch das ist überwunden! Ich gelobe dir zu schweigen, Gregor. Aber,« fuhr sie aufstehend, sich groß emporrichtend mit gen Himmel erhobener Rechten fort, »ich gelobe auch – und hier möge der Allmächtige meinen Eid vernehmen!– ich gelobe auch, von dieser Stunde an unablässig nach meinem Bruder zu forschen, und wenn ich ihn finde , so soll keine Macht auf Erden mich zurückhalten, ihn an das Herz zu schließen und zu rufen: Ich bin deine Schwester! – Ich muß jetzt wieder hinabgehen; ich kann es, ich
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