1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
der mit roher Ferse die Blüten seines eigenen, unnennbaren Glücks in den Boden stampft, für seine namenlos schwere Anklage haben? Ein Gerücht, einen verleumderischen Brief, die boshafte Erzählung irgendeines ehrlosen oder bis zum Verbrechen leichtsinnigen Kameraden!«
Sie trat vor Lodoiska hin, deren Brust sich unter den leisen Atemzügen – Marie hatte ihr das Kleid geöffnet – kaum zu regen schien. »Wie dieser reine Engel schlummert! Selbst das entsetzliche Gespenst des Schreckens, das sie so plötzlich niederwarf, hat ihre holdseligen Züge nicht entstellt. Ein Blick auf ihr Bildnis hätte den Beweis ihrer Schuldlosigkeit gegen tausend Zeugen geführt! Hast du sie gemordet, hast du dies zarte Leben zerknickt mit dem Streich, den deine wilde Hand blind geleitet darauf führte, so möge dich ihr Bild als ein Gespenst des Schreckens verfolgen!«
»Nein, nein, sie lebt, sie atmet, sie wird erwachen, wir werden sie trösten, beruhigen!« entgegnete Marie mit von Tränen erstickter Stimme. »Alles wird sich lösen; auch dieses entsetzenvolle Mißverständnis.«
»Hier kann kein verworrenes Gewebe mehr gelöst werden! Der Knoten ist mit ehernem Schwert durchhauen, alle zartesten Fäden, die zwei junge Herzen verknüpften, sind zerrissen! Wo ein so finsterer Geist des Argwohns in das Heiligtum der Liebe, des Vertrauens einbrach, da vertilgen sich seine Spuren nie. Überzeugt kann Jaromir werden, daß Lodoiska kein Sonnenstäubchen der Untreue, der Falschheit in ihrem reinen Busen trug; überzeugt wie von dem Glanz der Gestirne am ewigen, klaren Himmel! Doch der schöne, heilige, unverbrüchliche Glaube beider aneinander ist vernichtet, ist gemordet. Eine geschehene Tat, ein gesprochenes Wort, sie sind unwiderruflich, unwiederbringlich, wie die entflohenen Minuten. Was du auch tust, um Versäumtes nachzuholen, um eine Schuld zu versöhnen: es ist nur ein hohler Trug und Schein; die Versäumnis, das Verbrechen sind begangen, sie bleiben unabänderlich, und t keines Gottes Macht vermag die ewigen Schriftzüge in dem Buche des Vollbrachten zu löschen!«
Das Mädchen trat wieder ein; Lodoiska wurde in ihr Gemach, zu Bett gebracht. Marie setzte sich zu ihr und lauschte auf den wiederkehrenden Atem, auf das Aufschlagen ihres Auges. Die Gräfin stand in ernster, tiefer Trauer schweigend am Fuße ihres Lagers und heftete die dunkeln Blicke unverwandt auf die Leblose. Endlich öffnete sie das holde Auge wieder, blickte schmerzlich auf, reichte dann den lieben Pflegerinnen die Hände dar und sprach leise, aber aus tiefster Brust: »O, ich bin grenzenlos elend!«
Zehntes Buch.
Erstes Kapitel.
Die Nacht hatte sich schon herabgesenkt, ein rauher Sturm brauste über die Felder und sauste hohl in den dunkeln Kronen hoher Fichten, als Rasinski mit der kleinen Schar seiner Getreuen, die er nicht mehr sein Regiment zu nennen wagte, das Biwak erreichte. Man war müde bis zur Erschöpfung, die Glieder erstarrten in dem naßkalten Winde. »Hier in dieser Hügelsenkung,« befahl Rasinski, »wollen wir lagern. Wenigstens haben wir hier Schutz vor dem Winde.« Die Reiter schwenkten links ein.
Es war die in zwei Hügelspitzen vorspringende Ecke eines alten, düstern Fichtenwaldes, die Rasinski zu seinem Lagerplatze ausersehen hatte. Hohe Bäume standen auf den ziemlich steilen, wiewohl niedrigen Anhöhen, die eine fast ringförmige Schlucht mit ihrer hohlen Krümmung umschlossen. Die Wipfel der uralten Stämme kreuzten sich, so schmal war die Höhlung, über derselben; niedriges, schwarzes Kieferngebüsch klimmte die Höhe hinan. Gegen den Herbstwind gewährte der Raum freilich einigen Schutz, doch war er feucht und kalt, da die Sonne kaum in Sommertagen durch die düstern Kronen der Riesenfichten dringen mochte, geschweige jetzt im Spätherbst. Nur einige Birken mit dem weißen Stamme und dem blaßgelben, welken Laube standen wie Gespenster auf dem dunkeln Hintergrunde. »Ein guter Hinterhalt«, sprach Bernhard beim Einreiten durch die enge Mündung der Schlucht. – »Ja, für eine Räuberbande möchte er gelegen sein,« erwiderte Rasinski. – »Freilich,« antwortete Bernhard, »wenn wir alle beisammen wären, würde die Lagerstätte zu schmal ausfallen; doch für hundert ist allenfalls Raum hier.«
»Halt! Front! Abgesessen!« kommandierte Rasinski. »Hier am Saume des Hügels herunter steckt die Pikettpfähle ein und zieht die Stalleinen. Wir lagern gleich dahinter. Zwölf Mann zum Furagieren, zwölf zum Holzfällen, zwölf
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