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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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heiße Brust kühlend zu tauchen wähnst, ist nur der Widerschein verborgener Flammen des Abgrundes. Folgst du der Lockung, überschreitest du die heilige Grenze, so stürzest du hinab zur ewigen Qual. Es gibt hier kein Schwanken für dich. Die Braut, der der Freund entsagt, sei dir noch heiliger als die, welche er an sein Herz schließt. Jeder andere Gedanke, jede andere Hoffnung ist Verrat an dem heiligen Gesetz der Freundschaft! In der Feuerprobe dieser Gefühle, die Boleslaws Brust durchstürmten, stählte sich das edle Herz zur festen Willenskraft der Entsagung.
    »Nun,« fragte Rasinski nach langer, ernster Pause, »was meinst du zu diesem Briefe? Ist er ein Erzeugnis des Fieberwahns? Oder lastet wirklich ein Verbrechen gegen seine Liebe auf Jaromirs Herz?« Boleslaws Antwort wurde durch ein lautes »Wer da«, das Ludwigs Ankunft meldete, abgeschnitten. Die Freunde begrüßten ihn herzlich. Doch traten jetzt die Pflichten des Dienstes ein; die Kleidungsstücke, die Ludwig brachte, mußten in Empfang genommen und verteilt werden; dies verursachte ein Geschäft, das über eine Stunde dauerte. Währenddessen war die spätere Nacht hereingebrochen, und die er- müdeten Krieger bedurften der Ruhe. Bernhard befragte Ludwig zwar um Jaromirs Zustand; doch dieser wußte nicht mehr als die andern. Mit eiserner Verschlossenheit hielt der Jüngling das Geheimnis in seiner Brust; denn er wollte nur die Strafe seines Vergehens, nicht die verzeihende Entschuldigung, nicht das Mitleid, nicht die Vergebung.

Zweites Kapitel.
    Es war am 18. Oktober abends, als endlich das französische Heer die Hauptstadt der Zaren, in der es viel zu lange oder viel zu kurze Zeit verweilt hatte, zu verlassen anfing. Noch aber hatte der Kaiser nicht den Gedanken fassen können, daß er sich zurückziehen müsse vor der Übermacht der Natur und den unerschöpflichen Mitteln, die sie dem Feinde darbot, während sie ihm selbst nur unübersteigliche Hindernisse in den Weg türmte; sondern er dachte noch daran, das Heer Kutusows, welches bei Kaluga stand, anzugreifen, es zu schlagen, sich eine Bahn in die südlichen Provinzen zu eröffnen, seine Reserven heranzuziehen, seine Kommunikationen mit Polen zu vervielfältigen und zu sichern, den rechten Flügel der Armee zu seinem Stützpunkt zu machen und sich so bis zur bessern Jahreszeit im Herzen des feindlichen Landes zu behaupten. Zwar hatten sich schon manche Stimmen für den Rückzug vernehmen lassen, hatten in ahnungsvoller Besorgnis, daß das bleiche Schreckensgespenst des Winters unvermutet da sein werde, auf die Beschleunigung desselben gedrungen; doch der Rat, der dem kühnen Sinne des Kaisers am meisten zusagte, wenngleich nur der verwegenste, nicht der vernünftigste, behielt die Oberhand.
    Am Morgen des 19. Oktober, eines heitern Herbsttages, verließ Napoleon selbst Moskau. Obwohl schon die ganze Nacht hindurch der Ausmarsch des Heeres gedauert hatte, so drangen doch noch immer die Massen aus den Toren der halb in Schutt liegenden Stadt hervor. In unabsehbaren Reihen zogen sie sich auf der breiten Heerstraße hin. Nicht sowohl die Zahl der Krieger bildete den unermeßlichen Zug, als die unzählbaren Wagen mit Beute beladen, die Menge der Kanonen und Munitionswagen, die man nicht zurücklassen durfte. Von beiden Seiten brachen daher die Kolonnen der Infanterie und der Kavallerie aus und zogen, wo es das Terrain irgend gestattete, über die Felder neben der Heerstraße hin, um den gebahnten Weg für die Fuhrwerke freizumachen. Dennoch stopfte sich der ungeheuere Troß. Selbst der Kaiser mit seiner Begleitung konnte nicht Raum finden, so hatten die Wagen sich ineinander verfahren. In diesem Augenblicke war es, wo Rasinski, der die Nacht dicht vor den Toren Moskaus biwakiert hatte, mit seiner kleinen Schar durch eine Seitengasse der Vorstadt kam, um sich dem Zuge anzuschließen. Er mußte halten und sah den Kaiser dicht vor sich; in seinen Zügen drückte sich der Unwille über den Aufenthalt aus, den er erfuhr; mit Mißvergnügen betrachtete er diese Überzahl von Wagen. Er warf auch seinen scharfen Blick zu Rasinski hinüber, der ihn mit Ehrfurcht begrüßte. Doch sprach er nicht, sondern schien nur die geringe Anzahl Reiter, die noch von dem Regimente übrig waren, mit sorglicher Berechnung zu überzählen. Endlich wurde die Bahn geöffnet und er sprengte mit seiner Begleitung davon.
    Rasinski mit seinen Leuten konnte jedoch noch nicht einrücken, sondern mußte auf einen günstigern

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