1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
in seinen Banden; ein dunkler Trieb sagte ihm, er könne sich retten, wenn er sie sprenge, doch er vermochte es nicht. Da hörte er wieder verworrene Stimmen allmählich näher herankommen, rasche Schritte eilten auf ihn zu, und plötzlich riß eine rauhe Hand ihm die Binde von den Augen.
Staunend sah er umher; drei Männer mit langen Bärten, die er auf den ersten Blick für russische Bauern erkannte, standen vor ihm und blickten ihn mit einem Gemisch von Hohn und Verwunderung an. Auf dem Boden lagen die Leichname zweier französischer Soldaten und einige weggeworfene Gewehre. Ludwig sah sich in der Gewalt der Feinde, die ein seltsames Geschick zu seinen Rettern gemacht zu haben schien. Der Sprache fast ganz unkundig und von den Ereignissen noch fast betäubt, wollte ihm in diesem Augenblicke kein Wort einfallen, wodurch er seine Bitte um Rettung ausdrücken konnte. Doch redete sein flehender Blick, seine gefesselten Hände eine unverkennbare Sprache. Allein der Haß der Feinde wollte sie nicht hören, sondern übertobte in seinem grimmigen Brausen die zartere Stimme des Mitleids. Der eine der drei Männer hob sein Gewehr empor und wollte den Gefangenen mit dem Kolben niederschlagen; der Gefesselte konnte nur das Haupt hinwegkrümmen, ohne die Arme schützend vorzustrecken. Da hemmte plötzlich eine Hand den zum Streich aufgehobenen Arm; es war die Gestalt eines ehrwürdigen Greises, der, in einen dunkeln, weiten Pelzmantel gehüllt, vom Walde her eben herantrat. Sein Anblick wirkte auf Ludwig, als ob der milde Strahl des Morgens in die düstere Nacht seiner Schreckensträume dringe. Mit sanfter, ernster Stimme sprach der Greis einige Worte der Abmahnung. Die drei Männer zogen ihre Pelzmützen ab und verbeugten sich, die Arme über der Brust kreuzend, mit Ehrfurcht gegen ihn. Jetzt erkannte Ludwig in ihm den Engel der Rettung; seine patriarchalischen Züge, die milde Hoheit seiner Stirn verbürgten es, daß er ihn retten, nicht zu grausamer Qual aufsparen wollte. Der Bauer, der zuvor mit dem Kolben gedroht hatte, nahte sich jetzt mit einem Messer dem Gebundenen und zerschnitt den Riemen, der ihn fesselte. Ludwig war frei, gerettet! Voller Dankbarkeit ergriff er die Hand des Greises, doch dieser machte eine ernst abwehrende Bewegung, als wolle er sagen: Ich wollte dich als einen hilflos Gebundenen nicht grausam morden lassen; aber du bist der Feind meines Vaterlandes, meines Gottes, und frevelst an allem, was uns heilig ist, darum habe ich keinen Teil an dir. Die Bauern nahmen ihn als Gefangenen in ihre Mitte und trieben ihn an, vorwärts gegen den Wald zu zu gehen. Indem Ludwig ihnen folgte, kam er so dicht an einem der gebliebenen französischen Soldaten vorbei, daß er dessen Angesicht erkennen konnte. Es war der redliche Landsmann Cottin, der ihm gestern das Brot gereicht hatte. Wie seltsam ist das Schicksal, dachte er bewegt; du, der du mich noch vor wenigen Minuten als einen hoffnungslos Verlorenen bedauertest, du liegst nun entseelt vor mir! Redliches Herz, mögest du ein Glück finden jenseit dieser Todesruhe! Es gibt keine Wahrscheinlichkeit mehr! Nun so will ich denn auch nicht mehr hoffen, nicht mehr fürchten, mag das Schwert des Todes nahe oder fern über meinem Haupte schweben. Durch diesen Gedanken neu aufgeregt und gestärkt, ging er festen Schrittes zwischen seinen Führern hin. Mit Sorge spähte sein Auge in dem frischen Schnee nach den Spuren von Bernhards Flucht, doch war das ganze Schneefeld jetzt so verworren von menschlichen Fußtritten und Rosseshufen gekreuzt, daß selbst das geübte Auge eines nordischen Nomaden schwerlich noch eine bestimmte Richtung einzelner Spuren unterschieden hätte.
Man erreichte in wenigen Minuten den Wald, der bald sehr dicht wurde. Nach etwa einer Viertelstunde machten die Leute auf einem Platze, wo schon mehrere der ihrigen auf sie harrten, halt; nach und nach kamen andere Truppen des Weges von Smolensk her und mehrere von ihnen brachten einzelne französische Soldaten als Gefangene mit. Ludwig sah mit Anteil umher, ob vielleicht der Sergeant dabeisein möchte, doch konnte er ihn nicht entdecken. Ein neuer Trupp kam aus dem Gebüsch; inmitten dieser Leute, welche einige Kosaken zu Pferde begleiteten, mußten sich ebenfalls Gefangene befinden, denn Ludwig hörte ihre kläglichen Bitten um Schonung. Teilnehmend suchte er in dem verworrenen Haufen seine Unglücksgefährten zu erkennen. Endlich öffnete sich derselbe, und – ein Grauen durchbebte seine Brust, er
Weitere Kostenlose Bücher