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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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schien es unmöglich für ihn, vorwärts nach der Heimat zu dringen. Es blieb ihm nichts übrig, als zurückzuwandern, um das Neysche Korps, das kaum zwei Tagemärsche zurück sein konnte, und mit diesem Rasinskis Regiment wieder zu erreichen. War Ludwig gerettet, konnte er wie Bernhard frei handeln, so blieb auch ihm kein anderer Entschluß übrig. Daher war dieser Weg auch der einzige, auf dem er hoffen konnte, dem Freunde wieder zu begegnen.
    Er brach sich einen starken Fichtenzweig ab, schnitzte ihn mit dem Taschenmesser, welches er glücklicherweise bei sich trug, zum Wanderstab und zur Waffe für den Notfall zurecht und begann durch den Wald seinen Weg nach der Landstraße zu zu nehmen. In seiner Seele sah es so düster aus wie rings die Natur um ihn her. Er mußte sich durch unwegsames Dickicht kämpfen und oft bis an die Knie im Schnee waten. Daher drang er nur langsam vorwärts, und obwohl die Straße in der nächsten Richtung nur eine halbe Stunde von dem Hügel entfernt war, hatte er sie doch nach zwei Stunden noch nicht erreicht, einmal, weil er sie nicht so dicht bei der Festung zu kreuzen wagte, und dann, weil sein Weg sich durch die vielen Hindernisse und die Umwege, welche er nehmen mußte, überdies um mehr als das Doppelte verlängerte. Diese angestrengte Arbeit, verbunden mit dem Hunger, der ihn quälte, erschöpften seine Kräfte so, daß er sich endlich niederlegen mußte. Er räumte mit seinem Stab und einigen zusammengebundenen Zweigen den Schnee auf die Seite, machte sich dann eine Art Lager von abgebrochenen Tannenzweigen und streckte sich darauf hin, um auszuruhen. Doch war er sorgfältig bemüht, den Schlaf von sich abzuwehren, um nicht in demselben zu erstarren und so eine Beute des Todes zu werden. Er hätte der Vorsicht aber nicht bedurft; denn die Sorgen seiner Seele und die Pein des Hungers waren noch zu heftig, um ihn schlummern zu lassen, sein Körper aber noch nicht in dem Grade ermattet, daß er die Müdigkeit als die stärkste aller Qualen empfinden sollte. Um die Schmerzen, die ihm der Hunger verursachte, einigermaßen zu stillen, schnitt er die jungen, harzreichen Schößlinge aus den Zweigen und versuchte sie zu essen. Diese bittere Kost und einige Hände voll Schnee, den er zur Stillung des eingetretenen Durstes genommen hatte und ihn langsam auf der Zunge schmelzen ließ, war die einzige Stärkung, die seine verzweifelte Lage ihm gestattete. Nach einer Stunde der Rast brach er von neuem auf und erreichte nun bald die große Landstraße. Aber welch einen Anblick bot sie ihm dar! Sie war mit halbnackten, erstarrten Leichnamen bezeichnet, die zur Hälfte aus dem Schnee hervorragten. Kleine, leicht beschneite Hügel, an die der Fuß des Wandernden jeden Augenblick stieß, waren die Gräber ebenso vieler Unglücklichen. Weggeworfene Waffen, Uniformstücke, Gepäck, tote Pferde würden den Weg, den das Heer genommen hatte, bemerklich gemacht haben, auch wenn keine große, von Kanonen und Wagen tief ausgefahrene Heerstraße sichtbar gewesen wäre. Ein stilles Grausen schlich durch Bernhards Brust, als er sich jetzt so allein mitten in diesen Spuren befand, welche die schauerliche Bahn bezeichneten, die Tod und Verwüstung durch die schneebedeckten Öden genommen hatten. Die Straße glich einem langen, unermeßlichen Kirchhof, wo aber keine Freundeshand die Gebliebenen sanft bestattet hatte. Nur das Grabtuch des Schnees hüllte die Gefallenen kalt und schauerlich ein.
    Bernhard mußte jetzt bald ein Dorf erreichen; der Weg machte eine Wendung und es lag vor ihm. Aber kein Haus war mehr zu entdecken; alles niedergerissen und niedergebrannt, kaum daß einige einzelne, lange Schornsteine und schwarze Feuermauern noch über dem Schnee hervorragten. Mutmaßlich hatte ein Biwak hier ganz in der Nähe stattgefunden, so daß die Leute alles Gebälk zu ihren Feuern benutzt hatten. Bald entdeckte Bernhard auch die schwarzen Brandstellen am Saume des Waldes entlang. Er ging näher, in der Hoffnung, etwas zu finden, das seinen Hunger stillen könne. Vergeblich! Hier lagen auch keine Leichen, denn hier hatten ja die Kräftigern Rast gehalten, und das Feuer sie vor Erstarrung geschützt. Bernhard stieß mit seinem Stabe in einen Aschenhaufen und wühlte so einen noch glimmenden Brand heraus. Also konnte diese Lagerstätte erst am Morgen verlassen sein. Im Schnee entdeckte er einen Knopf; er hob ihn auf. Ein freudiger Schreck durchzuckte ihn; er erblickte das Zeichen seines Regiments darauf. Diese

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