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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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hingestreckt auf dem Schnee. Den nächsten erkannte Bernhard; es war der biederherzige Elsässer Cottin; die beiden andern waren ihm fremd. Die Freude, daß Ludwig gerettet schien, ließ der warmen Regung der Teilnahme für den wackern Landsmann keinen Raum. Die Flucht muß ihm geglückt sein. Dort, wo die drei Fichten ragen, harrt er jetzt meiner vielleicht schon. Ich muß eilen, seine Ungewißheit abzukürzen! Auch ohne diesen innern Trieb hätte Bernhard Ursache gehabt, aufs schnellste zu flüchten, denn durch das Getümmel des Gefechts aufmerksam gemacht, rückten eben einige rasch zusammengeraffte Kompagnien aus den nur wenige hundert Schritte entfernten Toren von Smolensk aus, um den, wie es schien, bedrängten Kameraden, freilich zu spät, zu Hilfe zu eilen. Bernhard gewahrte es noch inzeiten und nahm seinen Weg wieder in den Wald nach dem verabredeten Ort der Zusammenkunft mit Ludwig.
    Nach einer halben Stunde hatte er ihn erreicht. Die Fichten standen einsam auf einer nur von niedrigem Buschwerk bedeckten Anhöhe, die ihm einen ziemlich weiten Blick in die Ferne gestattete. Vor sich sah er die Türme, Giebel und Mauern von Smolensk, hinter denen die beschneiten Höhen, welche den Dnjepr begleiten, sich erhoben. In der Ferne lief eine lange, blaue Waldlinie um den Horizont; zur Rechten zog sich jenseit eines etwa eine Viertelstunde breiten Tannengebüsches die große Landstraße nach Moskau hin; hinter sich und zur Linken entdeckte das Auge, soweit es reichte, nur unermeßliche Wälder, die sich über Anhöhen und Senkungen des Bodens unabsehbar erstreckten. Nur wenige freie Stellen waren sichtbar, aber auch diese erschienen nur als von Wald rings umschlossene Räume. Der Höhenzug diesseit des Stroms beschränkte den Blick zur Linken; hinter demselben mußte sich, so war es Bernhard noch von früher her erinnerlich, freies Feld finden. Er warf nur einen flüchtigen Blick über diese traurige, öde Landschaft; sein Auge spähte nach Ludwig umher. Er entdeckte ihn nicht. Anfangs leise, dann lauter und lauter rief er den Namen des Freundes, doch seine Stimme verhallte in der tiefen Einsamkeit und Stille ohne Antwort.
    Jetzt wurde ihm bang. Tausend Möglichkeiten stiegen in seiner Seele auf, die nahe an die Wahrheit hinstreiften, ohne diese jedoch zu treffen. Er kreiste in der Nähe des Berges umher, durchsuchte alle Büsche, spähte nach Fußtritten im Schnee, ob er daraus vielleicht die Spur Ludwigs entdecke, falls dieser sich verirrt haben sollte – alles vergeblich. Immer wieder stieß er, so sehr er auch den Ring seines Umherspähens ausdehnte, auf keine andere Linie von Schritten als die einzige, die ihn auf den Gipfel des Hügels geführt hatte. Diese durchschnitt er ein-, zwei-, dreimal; er gewann endlich die Überzeugung, daß kein menschlicher Fuß als der seinige auch nur in die Nähe des Hügels gekommen war.
    Diese Gewißheit fiel mit schwerem Gewicht auf seine Brust. War Ludwig gerettet, war er es nicht? Hatte er ihn mißverstanden? Hatte er seine Flucht nach einer andern Richtung genommen? Oder hatten ihn Umstände gezwungen, seine Rettung auf der entgegengesetzten Seite des Waldes zu suchen? War er im Gefechte geblieben? Diese und tausend andere Fragen kreuzten sich in Bernhards Seele, aber er wußte ihnen keine Antwort. Nur die eine fürchterliche Gewißheit gewann er mehr und mehr, daß er von dem Freunde getrennt sei, daß nur eine günstige Wendung des Geschicks, die außerhalb seiner Kraft und Berechnung lag, ihn wieder mit ihm zusammenführen könne.
    Der Mittag nahte heran. Durch das Waten im Schnee waren Bernhards Füße durchnäßt, die Sehnen seiner Knie aufs äußerste ermattet. Der Hunger stellte sich mit peinigender Schärfe ein, denn der seit zwei Tagen wohlgenährte Körper hatte wieder Kräfte genug gewonnen, um der Gewalt dieses Feindes einige Zeit ohne Ermattung, aber dafür auch mit desto größerer Qual trotzen zu können. Einen Entschluß mußte er fassen. Es blieb ihm nur die Wahl, entweder in die Festung zurückzukehren und sich so dem gewissen, raschen Tode zu überliefern, oder allein die Flucht durch die Schneewüste zu wagen, wo tausend Gefahren und Qualen seiner harrten, zu denen die schwache Hoffnung der Rettung kaum den Mut und die duldend ausharrende Kraft gewähren konnte. Und wohin sollte er seinen Weg nehmen? Ohne Waffen, um sich gegen einen hungerigen Wolf zu verteidigen, oder Holz zum Feuer zu fällen; ohne Lebensmittel, mit äußerst geringer Barschaft,

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