1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
beschlossen gewesen wäre. Mit der sinkenden Sonne schloß Ochalskoi das Auge. Wir erwarteten nur die Nacht, um auf geheimen sichern Wegen zu flüchten. Aber selbst den Leichnam des Edeln ließen wir dem Feinde nicht, denn ich hatte es ihm im Tode versprochen, das Äußerste daranzusetzen, ihn auf unbeflecktem russischen Boden zu bestatten.«
»Es gelang uns, das freie Feld zu gewinnen; die Flammen Moskaus leuchteten unserer Flucht. Bald erreichten wir den dichten Wald und hinter demselben die Straße nach St. Petersburg.«
»Ich begab mich, begleitet von meiner Gemahlin und Tochter, zum Kaiser. Von dort aus wurden jetzt die unsichtbaren Netze ausgespannt, in die wir den Feind des Vaterlandes lockten. Mit Friedenshoffnungen hielten wir ihn hin, bis er endlich gewahrte, daß er, der alle zu täuschen gewohnt war, diesmal selbst der Betrogene sei. Noch wäre es Zeit gewesen zur Rückkehr, wiewohl er es teuer erkauft haben sollte, über die Grenzen Rußlands zurückzuschreiten. Doch sein Stolz sträubte sich gegen diese Schmach; im Wahn der Unüberwindlichkeit versuchte er es, sich eine neue Bahn zu brechen; es mißlang. Sein Tag war gekommen, er mußte sich umwenden zur Flucht. Aber es war zu spät! Schon ziehen sich die Garne von allen Seiten zusammen, mit denen wir ihn umspannen! Der Allmächtige ist im Bündnis mit der heiligen Sache unsers Vaterlandes. Er ließ seine Sonne täuschend glänzen und verhüllte mit ihren milden Strahlen die Nähe des lauernden Winters, dieses grimmigen Würgers, der jetzt plötzlich aus dem Hinterhalte hervorbricht. Keine Flucht darf sie retten. Alle Wege werden gesperrt. Wohin sie sich wenden, soll ihnen das Verderben entgegentreten. Dazu komme ich hierher. Jetzt, Vater, gilt es, die Söhne Rußlands mit heiliger Wut zu erfüllen, gegen diese höhnenden Frevler, die sich an den Tränen unsers Grimms weideten. Du sollst mir helfen, das Volk aufzustürmen, zu sammeln, gegen den Feind zu führen. Deshalb komme ich aus der Hauptstadt hierher; ich eilte, wie der Sturmwind, denn ich hoffte, wir würden Smolensk vor dem französischen Kaiser erreichen und durch einen raschen Überfall uns der Festung versichern. Dann wäre er hier im Herzen Rußlands gefallen. Doch das ist zu spät. Ich weiß, daß er seit gestern hier eingetroffen ist; nur mit Gefahr, auf Umwegen durch die Wälder, vermochte ich bis hierher zu dringen. Allein wo ich die große Straße kreuzte, sah ich schon die Spuren des Verderbens, das ihn getroffen. Sie ist bedeckt mit Leichen und Trümmern. Aber es darf keiner entrinnen, keiner, der das Unheil in der Heimat verkünde. Nur aus dem toten Verstummen, aus dem grausenden Verschwinden jeder Spur mögen die Seinigen daheim erfahren, welch ein Schicksal ihn und die, die er führte, ereilt hat. Wenn der Morgen graut, Gregor, versammle das Volk durch den Ruf der Glocke in der Kirche. Erfülle ihre Herzen mit der Flamme des Grimms, rufe sie auf zur Rache gegen die Feinde ihres Gottes. Nicht Kinder, nicht Weiber dürfen müßig bleiben. Darum führte ich auch Gemahlin und Tochter mit mir, daß sie das Beispiel geben von der Pflicht einer edeln Bewohnerin Rußlands. Dann werde ich unter sie treten, sie aussenden als Boten ringsumher, und ehe der Abend hereinbricht, wollen wir Tausende bewaffnet haben, um sie gegen den Feind zu führen. Sie sollen hervorbrechen aus dem Dickicht dieser Wälder, wie der Löwe auf seine Beute; sie sollen plötzlich hineinstürmen auf die mutlos Flüchtenden, wie die schwarze Wetterwolke den Hagelsturm auf die Felder niedersendet! Das ist jetzt unsere Pflicht, Gregor; du wirst mir sie üben helfen.«
»So wahr des Herrn Angesicht über meinem grauen Haupte leuchtet!« rief der Greis mit begeistertem Blick und erhob die Rechte zum Schwur. Dann sank er erschüttert auf die Knie nieder und betete aus tiefster Brust: »Allmächtiger Vater, allgütiger Lenker der Geschicke! So hast du mein Flehen erhört und lässest diesen Tag des Heils leuchtend vor meinen alten Augen heraufsteigen. Dank dir, Allgütiger! Noch dieses letzte Werk laß mich vollenden, dann winke mir, und ich lege freudig mein Haupt in die Gruft!«
Zweites Kapitel.
Ohne durch ein einziges Zurückblicken auch nur einen Augenblick Zeit zu verlieren, hatte Bernhard vollen Laufes die Waldecke erreicht. Seine Verfolger waren nahe an ihm, doch der goldene Preis der Freiheit, der vor ihm winkte, gab ihm Flügel. Gottes Hand beschützte ihn; denn obwohl einige Kugeln dicht an seinem Ohr
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