1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
vorbeistreiften, verletzte ihn doch keine. Jetzt deckte ihn das dichte Gebüsch; zwar hemmte es die Schnelligkeit seiner Flucht, doch verbarg es auch sogleich die Richtung derselben und setzte dieselben Hindernisse seinen Verfolgern entgegen. Mit vorgebeugtem Haupt, den linken Arm schützend über die Augen haltend, stürzte er fort und achtete es nicht, daß die Büsche ihm Hände und Angesicht blutig rissen. Endlich fehlte ihm der Atem; er stand einen Augenblick still und schöpfte Luft. Lauschend horchte er auf, ob sich Tritte hinter ihm hören ließen. Es blieb alles totenstill. Vorsichtig eilte er nach der kurzen Rast weniger Sekunden noch eine Strecke tiefer in den Wald hinein, bis er ganz finsteres Buschwerk erreichte, das ihn selbst den dicht Vorübergehenden verborgen haben würde. Hier erst gönnte er sich eine längere Ruhe und überlegte, was nun zu tun sei.
Du selbst bist für diesmal gerettet, dachte er, indem er einen tiefen Atemzug aus der freien Brust tat und das Auge freudig dankbar gen Himmel erhob; wenn nur erst Ludwig mit dir vereint wäre! Und dann? Wir beide einsam in der Wüste? Der Kälte, dem Hunger, der Wut der Einwohner preisgegeben? Schäme dich, Bernhard; willst du verzagen in dem Augenblicke, wo du den Beweis erhalten hast, daß nichts verloren ist, wo nicht alles verloren ist? Nur heran mit der Zukunft; man muß sie scharf ansehen, wie ein Fechter seinen Gegner, dann deckt man sich gegen jeden Streich.
In diesen Gedanken setzte er seinen Weg in der Richtung nach dem Hügel mit den drei Fichten fort. Im dichten Walde herrschte noch eine tiefe Dämmerung; totenstill war alles ringsumher. Da ertönten plötzlich mehrere Schüsse. »Heiliger Gott! wäre es Ludwig, den man wieder ergriffen hätte«, rief Bernhard und stand, wie an den Boden gefesselt, mit halbem Leibe vorwärts, der Richtung des Schalles entgegengebeugt. Es fielen abermals Schüsse und nochmals und wiederum! Nein, dachte er mit freudig erleichterter Brust, das ist der grausenvolle Klang nicht, den ich fürchtete. Doch war er völlig ungewiß, wie er dieses Schießen erklären sollte, zumal da es sich mit verworrenem, ganz dumpf und schwach durch die Morgenstille bis zu ihm herüber tönendem Geschrei mischte. »Wenn ich nur irgend wüßte, wo der Feind aus dem Erdboden gewachsen sein könnte, würde ich glauben, dies sei ein Gefecht. Ob sich denn irgendein Blick auf die Ebene tun läßt?« Er ging gegen den Saum des Waldes zu, doch noch ehe er ihn erreichte, war das Schießen und der ganze Lärm vorüber. Um so ängstlicher lauschte er, ob er nicht in der Nähe Tritte höre, ob nicht das Gebüsch rausche, weil ein eiliger Wanderer es teile. Vergebens.
Bernhard wurde jetzt unschlüssig, ob er eilen solle, den verabredeten Punkt des Zusammentreffens zu erreichen, oder ob zurückgehen und zu erforschen suchen, was aus Ludwig geworden sei. Nach kurzem Besinnen wählte er das letztere. »Er mag eine Viertelstunde länger auf mich harren; es ist besser, daß er diese ausdauere, als daß ich ihn vielleicht hilflos und ohne Freundestrost in den Händen seiner Feinde lasse. Wäre er das Opfer geworden? Nein, nein! Es ist unmöglich. Ist er es aber, nun so will ich es auch sein!«
Es lag ein gewisser trotziger Stolz in Bernhards Gefühl bei diesem Entschlusse. Man sollte nicht sagen dürfen, daß er, um sich selbst zu retten, den Freund verlassen habe. Er fühlte wohl, daß für Ludwig sein Opfer zu spät komme, allein es dünkte ihn ehrlos, ihn zu überleben. »Aber Marie! Wärest du nicht der treuere Freund, wenn du für die einsame, hilflose Schwester sorgtest? Fort, fort, dein Herz will dich belügen – traue ihm nicht!«
Bernhards innere Angst wuchs, je heftiger der Kampf der Gefühle in ihm wurde und je näher er der Stelle kam, wo er Gewißheit über das Schicksal des Freundes zu erhalten hoffte. Endlich hatte er die Waldspitze erreicht und konnte den Hügel überblicken, wo der Tod ihn und Ludwig hatte treffen sollen. Er war einsam, niemand in der Nähe; Bernhard wagte sich vor. Der Schnee war von zahllosen Spuren durchkreuzt; auch einige Reiter mußten ihren Weg über den Hügel genommen haben. Jetzt stieß Bernhard auf einen verlorenen Tschako, auf Blutspuren, auf die untrüglichsten Zeichen, daß ein Gefecht hier vorgefallen sein mußte. Von weitem entdeckte er einige Leichname – wie, sollte Ludwig darunter sein? Er eilte in vollem Laufe heran. Gott sei Dank, nein! Es sind andere Umformen! Drei Männer lagen
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