1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
und scheu gestanden und mit den Hufen in dem Schnee gewühlt hatten, schossen jetzt, als fühlten sie, daß es ihre eigene Rettung gelte, brausend dahin. Die Fahrt ging pfeilschnell durch das düstere Gebüsch; dennoch vernahm man das Geheul der nachfolgenden Raubtiere näher und näher. Jetzt knickte und knisterte es in den Zweigen, und plötzlich sprang ein mächtiger Wolf mit kühnen Bogensätzen aus dem Dickicht hervor, um sich den Pferden entgegenzuwerfen und sie an der Kehle zu packen. Doch der gewandte Willhofen hatte alsbald die Büchse zur Hand und streckte das Tier in dem Augenblick zu Boden, wo es das scheu auf die Seite setzende Handpferd anfallen wollte. »Der wäre bezahlt! Er soll uns den Pelz nicht schuldig bleiben«, rief der Schütze lustig, ohne auf das laute Aufkreischen der Gräfin sonderlich Rücksicht zu nehmen. »Paulowitsch, hast du geladen? Sei auf der Hut!«
Es vergingen einige Minuten, ohne daß ein neuer Feind sich zeigte. Der grause Ton des Geheuls schien schwächer zu werden. »Sie sind scheu geworden«, wandte sich Willhofen zu Ludwig, der jedoch, den Freund am Herzen haltend, kaum bemerkt hatte, was vorgegangen war. »Seien Sie unbesorgt, gnädigste Frau Fürstin und Gräfin,« sprach er zu diesen, »nun können uns die Bestien nichts mehr anhaben. In fünf Minuten sind wir aus dem dichten Walde und dann ist die Bahn spiegelglatt. Da soll uns eine schießende Schwalbe nicht einholen.«
Jetzt lichtete sich der Wald; man gelangte auf einen nur mit niederm Gehölz bedeckten Platz von der Breite einer Viertelstunde. Der Schlitten flog pfeilgeschwind über die hier festgefahrene Bahn hinweg. Jenseit bog man in einen geraden, durchgehauenen Baumgang ein, und nach wenigen Minuten lag das Jagdschloß vor den Augen der Reisenden. »Das war gefahren!« rief Willhofen, als er vor dem Tor anhielt, aus welchem, durch das Knallen der Peitsche von fernher aufmerksam gemacht, schon zwei alte Diener mit Laternen herausgeeilt waren. »Seht nur, wie die Pferde dampfen! Von der großen Fichte bis hierher keine zwanzig Minuten und das halb in dem tiefen Schnee! Und es sind doch gute zehn Werst!« Unter diesen Worten war er abgesprungen und hatte dem Kutscher die Zügel übergeben. Die Diener halfen den Damen aus dem Wagen.
Schweigend, ohne zu grüßen, ging die Gräfin, auf den Arm eines der Diener mit der Laterne gestützt, ins Schloß. Bianka befahl sogleich für Ludwig und den Verunglückten die schleunigste Sorge zu tragen. Dann wandte sie sich zu diesem mit den Worten: »Hier sind Sie mein Gast, dieses Schloß gehört mir; führt der Himmel den großen Schmerz an Ihnen vorüber, so hoffe ich, daß Sie hier ungetrübte Stunden zubringen sollen.«
Ludwig, der noch sitzengeblieben war, weil er Bernhard im Arme hielt, wandte sich zu der Sprechenden. Ihre sanfte Stimme fand selbst jetzt den Weg zu seiner Seele. »Engelgütiges Wesen«, begann er, – da regte sich Bernhard an seiner Brust und tat einen tiefen Atemzug. »Er lebt!« rief Ludwig außer sich, alles vergessend; »allgütiger Himmel! Er lebt, er lebt!« In Hoffnungsangst und Freude umschlang er den Geliebten und zitterte heftig. »Wo bin ich?« fragte Bernhard und schlug die Augen auf. – »In meinen Armen!« rief Ludwig und seine Brust wallte atemlos und wollte springen im Übermaß seiner Freude. Feodorowna hob das Auge gerührt gen Himmel. Auch ihr glänzte ein Schimmer der Hoffnung. Zum ersten Male seit langen Monden senkte sich das Gefühl eines sanften Friedens in ihre trauernde Seele ein. Willhofen half den noch halb Gelähmten und Betäubten herabheben und leitete ihn mit Ludwig gemeinschaftlich in das für diesen bestimmte Gemach, wo sie ihn in einen Sessel niederließen. Dann eilte der treue Diener, um schnell wirksame Rettungs- und Stärkungsmittel herbeizuschaffen.
Hier kehrte dem Geretteten die völlige Besinnung zurück. »Ludwig,« rief er, »seh' ich dich wieder? Lebst du? Oder weilen wir jenseits, oder war alles ein Traum?« Und in heißer Umarmung hielt er den Freund am Herzen. »Wir leben! Ein gnädig waltender Gott hat uns behütet – o du sollst noch andere Wunder sehen!«
Willhofen trat mit einem von Feodorowna rasch bereiteten erwärmenden Getränk ein; ein Diener brachte wollene Decken, um den Erstarrten einzuhüllen. »Das ist, dem Himmel sei Dank, nicht mehr nötig«, rief Willhofen freudig aus, als er sah, daß Bernhard völlig zum Leben und Bewußtsein zurückgekehrt war. »Aber hier, mein Herr, trinkt ein
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