1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
erstarrt war, durch einen menschlichen Laut zu unterbrechen. Sogar der Marschall war davon ergriffen; doch nur einen Augenblick. Im nächsten warf er schon die Adlerblicke des Feldherrn über die Landschaft und suchte den Feind und die Stellung, in der er ihm am vorteilhaftesten begegnen könne. »Soldaten,« redete er, zu den Kriegern gewendet, die Scharen an, die sich jetzt dichter und dichter die Höhe hinanzogen, »Soldaten, hier haben unsere Kameraden einen Tag des Ruhms gefeiert und sich Bahn gebrochen mitten durch den Feind. Ihr Beispiel sei euer Vorbild! Vielleicht wird uns heute das Glück, einen gleichen Ruhm zu erwerben.«
Rasinski trug gleichfalls jene feste Haltung des Mannes, die er äußerlich nie verlor, in seinen Zügen. »Freunde,« sprach er zu den Seinigen, »die hier liegen, starben einen ruhmwürdigen Tod. Dieser Schnee ist von edelm Blute gerötet. Es muß euern Grimm entflammen, euch zur Rache anspornen! Gedenkt dessen, wenn ich euch den Feind zeigen kann.« Während er sprach, loderten die hellen Flammen des Zorns aus seinen dunkeln Augen. Er warf das Haupt stolz empor und legte die Hand wie unwillkürlich an den Säbel. Sein Blick drang wie ein zündender Blitzstrahl in die Seelen der Krieger; unter einem solchen Führer konnte ihr Mut nie dahinsterben. In einem Augenblicke schmolz sein Auge die kalten Fesseln des Grauens hinweg, mit dem der Anblick dieser schweigenden Gefilde des Todes ihre Brust umschleiert hatte, und frei regten sich die Flügel des Muts, die edeln Schwingen des Zorns wieder.
Der Zug bewegte sich vorwärts. Wie man allmählich den sanften Hügelabhang hinunterrückte, kam man dem Schlachtfelde, welches man von der Höhe nur im allgemeinen überblicken konnte, näher und näher und zog sich endlich mitten durch die Spuren der Verwüstung hindurch. Der Marschall ritt an der Spitze und überblickte ernst, aber ruhig das Feld des Ruhms und des Todes. Es fing jetzt an deutlicher zu werden und die Stellungen der Truppen in der Schlacht zu bezeichnen. Regnard ritt neben Rasinski und deutete hier und da auf die Toten am Wege, aus deren Uniformen man erkennen konnte, welche Regimenter hier gefochten hatten. »Dort stand die vierzehnte Division«, rief er und zeigte auf eine Stelle zur Seite, wo die glänzenden Schilder zerschmetterter Tschakos noch die Regimentsnummer erkennen ließen. »Dort muß die italienische Garde gefochten haben,« entgegnete Rasinski, »denn dort liegen ihre Toten. Wo aber mögen die Lebendigen weilen?«
Diese letzten Worte sprach er mit gedämpfter Stimme, weil er seine Besorgnisse nicht verraten wollte; allein ein Blick, den er auf Regnard richtete, gab nur zu deutlich zu erkennen, was er dachte. »Hm!« murmelte dieser, »freilich Krasnoe hatten sie glücklich erreicht; aber was zwischen der Morgensonne von gestern und der von heute liegt, kann ich freilich nicht wissen, sowenig, als ich behaupten kann, daß wir morgen nicht auf russischem Schnee wandeln. Indessen, wenn wir in der nächsten Stunde nicht angegriffen werden, möchte ich's fast glauben. Aber seht einmal, ich bitte euch, hier nach der linken Seite herüber!« – »Hier haben Männer gefochten,« rief Rasinski aus; »ein Elender, der es leugnen wollte.«
Sie waren jetzt, wie es schien, auf den Punkt des Schlachtfeldes gelangt, wo das Feuer des Feindes am heftigsten gewütet hatte. Lange Reihen von Toten lagen auf den Schnee hingestreckt, und weithin schimmerte er rötlich von den Strömen Blutes, die hier zu starrem Eise geronnen waren. Niemals bot ein Schlachtfeld einen so grauenvollen Anblick des Todes dar, denn die Toten schienen in der Stellung, wie der letzte Hauch ihrer Brust entflohen war, zu unbeweglichen Steinbildern geworden, als ob sie so dem Gedächtnisse für die fernste Nachwelt als starre Denkmäler der Schlacht aufbewahrt werden sollten. Wer die einzelnen Züge gekannt hätte, würde seine Freunde bald wiedergefunden haben, so unverändert waren sie geblieben. Doch die Verzerrungen des Todeskampfes lagen fast auf jedem Antlitz, und der erstarrende Hauch des Winters hatte die Züge gehindert, sich wieder zu dem freundlich stillen Lächeln zu gestalten, welches die letzte Spur der entflohenen Seele auf dem Angesichte bleibt, nachdem sie den Kampf mit den mächtigen Fesseln des Lebens überstanden hat und sich nun frei emporschwingt in das Reich des Lichts. Hier war es nicht so; es schien, als ob die grimmige Hand des Winters noch früher als die des Todes den warmen Formen
Weitere Kostenlose Bücher