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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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des Lebens ihr starres, unverlöschtes Siegel aufgedrückt hätte. Darum sah man auf keiner beruhigten Stirn, auf keiner sanft lächelnden Lippe den Ausdruck der Erlösung von den Qualen der Erde; sondern alle waren sie in den tiefeingeschnittenen Falten der Marter, der Verzweiflung, des Grimms, gleich den Wellen eines im Sturm versteinerten Meeres, stehengeblieben. Der Marschall mochte es, wie sehr er seine Seele zu beherrschen wußte, doch in eigener Brust empfinden, daß diese stumme Wanderung durch die Wüste des Todes nicht geeignet sei, die Flamme des Muts anzufachen; denn jeder sah in diesen unbestattet auf dem rauhen Eise gebetteten Kriegern, wie in einem prophetischen Spiegel, das Bild seines eigenen Schicksals. Auf hundert Schlachtfeldern hatten diese narbenbedeckten Helden freilich den Tod in mancher furchtbaren Gestalt gesehen, und nicht als Neulinge empfingen sie seinen ernsten Gruß. Überall aber ruhten die Gefallenen auf den Feldern des Siegs, und Lorbeeren flochten sich um ihre Schläfen, und die Göttin des Ruhms reichte Lebenden und Toten den Kranz, und Fall war Triumph zugleich! Aber hier? – Welch ein Los erringen sich die Überlebenden, als erneute Qualen und Kämpfe? Und welch ein Los die Toten, die auf dem Boden des Feindes zurückbleiben, die keine Freundeshand bestattet, deren Gruft kein Siegesdenkmal schmückt für die Nachwelt, sondern die bodenlos hinabsinken in das weite Reich der Vergessenheit, in das unermeßliche Nichts! Nicht einmal die heilige Mutter Erde nimmt ihre Leichen auf, sondern die Raubvögel dieses düstern Himmels und die hungernden Wölfe dieser Steppen zerfleischen den Besten wie den Geringsten, und die Frühlingssonne, wenn sie den Schnee hinwegschmilzt, wird nur verstümmelte Gebeine zum schaudervollen Anblick bringen.
    Der Zug hatte jetzt in immer beschleunigtem Marsche eine tiefe Schlucht erreicht, in welche sich der Weg hinabsenkt und sich von dort auf das breite Plateau von Katowa erhebt. »Erkennst du dieses Terrain?« wandte sich Rasinski zu Jaromir. Dieser warf aufmerksame Blicke umher und erwiderte dann: »Wenn mich der Schnee nicht täuscht, so ist dies der Ort, wo wir vor drei Monaten Newerowskoi schlugen, und mit den eroberten Kanonen dem eine Ehrensalve zu seinem Geburtstage brachten.« – »Ganz recht,« entgegnete Regnard, der Frage und Antwort gehört hatte; »ihr habt einen guten militärischen Blick, junger Freund. Was meint ihr, werden wir auch heute noch Viktoria schießen?«
    Eben wollte Jaromir antworten, als ein dumpfer, aber nicht entfernter Kanonenschuß die tiefe Stille unterbrach. Dieses Zeichen, daß der Feind in der Nähe sei, durchzuckte jeden einzelnen mit einem elektrischen Schlage. Das geübte Ohr der Krieger schätzte sogleich die Entfernung, in der der Schuß geschehen war, und das Auge wandte sich nach der Richtung, in der man ihn gehört hatte. Die gespannte Aufmerksamkeit, ob er sich wiederholen würde, ob er den Anfang eines Gefechts, oder ein Signal bedeute, oder vielleicht nur ganz zufällig sei, war in jedem Angesichte zu lesen. Der Marschall gebot halt. Er trug Bedenken, gerade in diesem Augenblick seine Leute in die Schluchtsenkung hinabzuführen, da das Hinanklimmen der eisigen Höhen jenseits bei den erschöpften Kräften der Pferde und Menschen, besonders für die Artillerie, die größte Anstrengung forderte. Rasinski allein erhielt Befehl, mit seiner schwachen Reiterschar weiter vorzurücken und auf den Höhen von Katowa zu erkunden, ob der Feind in der Nähe sei; der Überrest des Heeres lagerte indessen, um Kräfte für den nahe bevorstehenden Kampf zu sammeln.
    Rasinski hatte bald die Hochebene von Katowa erreicht; aber vergeblich suchte sein Auge den Feind. Er entdeckte nichts als die langen einförmigen Linien der düstern Tannenwälder, die sich unabsehbar längs dem Horizont hinzogen. Alles lag im tiefsten schauerlichen Schweigen. Mit Vorsicht ritt er wohl eine halbe Stunde weit auf der großen Straße dahin, teilte dann die Leute und befahl Jaromir, die rechte Seite der Straße auf Kanonenschußweite zu rekognoszieren, während er selbst die linke untersuchen wollte. Auf diesem Ritte näherte er sich dem Saume des Waldes. Da entdeckte er Spuren von Pferden auf dem Schnee, die, wie er sie verfolgte, immer zahlreicher wurden. Dies bewies ihm, daß der Feind in der Nähe sein müßte, denn zum Teil war der Hufschlag ganz frisch. Aufmerksam hielt er das Auge auf den Saum des Waldes gespannt, der in seinem tiefen

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