1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
wiederfinden. Für heute gute Nacht, und haltet mir ja das Töchterchen warm.«
Sie kehrten hierauf zum Biwak zurück, wo die Ermüdung sie bald in tiefen Schlaf versenkte.
Drittes Kapitel.
Ein bleicher Mondschein fiel durch graues Gewölk, der Wind strich hohl sausend über die Waldspitzen und Schneesteppen dahin, als die Krieger von neuem aufbrachen. Keine Trommel bezeichnete ihren Abmarsch. In tiefster Stille, so lautete der Befehl, rüsteten sie sich zu der mühevollen Wanderung. Regnard hatte vom Marschall ein Pferd erhalten und blieb als Adjutant in dessen Nähe. Rasinski marschierte mit den Seinigen, da man einen Angriff befürchtete, an der Spitze und ganz in der Weise, als erwarte man den Feind von vornher. Der Marschall war anfangs überall zugegen, wo gerade der Augenblick ihn forderte; nachdem der Zug durch sein Ansehen sich soviel als möglich geordnet hatte, glaubte er, daß der angemessenste Platz für ihn jetzt der sein werde, wo man den Angriff des Feindes zuerst vermuten durfte.
Indessen legte man mehrere Stunden Weges wie immer mit großer Anstrengung in dem tiefsten Schnee zurück, ohne auf irgendeine Weise beunruhigt zu werden. Die Kälte hatte in den letzten Tagen etwas nachgelassen, so daß man durch sie nicht mehr soviel zu leiden hatte; es schien sogar, als wolle Tauwetter eintreten. Der Himmel war leicht bezogen, erneutes Schneegestöber jedoch nicht zu fürchten. Jetzt begann die Sonne im Rücken des Heeres das Gewölk zu röten, und matter Dämmerschein verbreitete sich über der toten Landschaft. Man war es bereits gewohnt geworden, in jeder Vertiefung, in jeder nur einigermaßen steilen Schlucht weggeworfene Waffen, Gepäck, Helme, Gewehre, oft auch Kanonen und Munitionswagen zu finden, und nicht selten lagen einzelne, durch Entkräftung oder Hunger umgekommene Krieger daneben hingestreckt. Hier aber häuften sich diese Zeichen einer furchtbaren Auflösung und Zerstörung der geordneten Heermassen auf eine selbst das Bedenken der Tapfersten erregende Weise. So schauerlich die Nacht mit ihren geheimnisvoll verhüllenden Schleiern war, so wurde der Tag, der sie hob, doch noch entsetzlicher.
Plötzlich entwölkte sich der Osthimmel, und die eben über den Horizont heraufschwebende Sonne stand dunkelrot hinter dem Heere und warf ihre Strahlen gleich einem langen blutigen Strom über die Schneewüsten hin. Die Schatten der Menschen und Pferde streckten sich wie schwarze Riesengestalten in unendlicher Länge über die weiße Ebene und kreuzten sich in tausendfacher Verworrenheit. Seltsam überrascht, wandte sich jedes Auge zurück. Seit länger als einer Woche hatte man das Bild der Sonne nicht gesehen; heute zeigte es sich zum ersten Male wieder; aber das Gestirn, welches sonst Erquickung und Freude selbst in die Brust des Verzagtesten strahlt, weckte jetzt nur ein banges Grauen. Denn wie ein drohendes Glutauge, unter den Brauen finster herabhängender Wolken, stand es da; es schien seine düstern Schleier nur zurückgestreift zu haben, um fürchterlicher auf das Bild des Entsetzens und Verderbens, das die Erde darbot, herabzublicken. »So ging die Sonne bei Mosaisk auf,« sprach Jaromir leise zu Rasinski; »der Kaiser nannte sie die von Austerlitz.«
Rasinski wollte in diesem Augenblick absichtlich nicht auf die Anspielung eingehen. »Ich glaube, wir bekommen einen klaren Tag,« erwiderte er daher; »wenn der Wind nicht umsetzt –« Ein dumpfer Ausruf des entsetzten Erstaunens rings um ihn her unterbrach ihn mitten in seinem Worte. Er wandte verwundert das Haupt nach der Gegend, woher der Ruf ertönte, und übersah nun mit einem Blicke die Ursache des Schreckens, der die Krieger ergriffen hatte. Man war eben eine leichte Anhöhe hinangeritten und hatte jetzt das ganze Feld ausgebreitet vor sich. Da lagen, soweit das Auge reichte, auf dem weißen Schneegrunde in schwarzem Gewimmel die Leichen von Menschen und Pferden, die Trümmer zerschmetterter Geschütze, Wagen, Waffen, Feldgerät, Gepäck. Es war das Schlachtfeld, wo der Vizekönig zwei Tage zuvor, von allen Seiten angegriffen, sich so mutvoll verteidigt hatte.
Eine tiefe Stille herrschte rings in den Reihen der Krieger; der grauenvolle Anblick war unvermutet wie ein gigantisches Gespenst vor sie hingetreten und drang mit entsetzenvoller Versteinerung aller warmen Lebenskräfte in ihre Brust ein. Kaum ein Atemzug war hörbar, als wage niemand das heilige Grauen dieses Leichenfeldes, wo der Tod selbst in den Armen des Winters
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