1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
verlegen und unternahm wieder einmal einen vergeblichen Versuch, sein krauses Haar mit ein paar Handbewegungen zu bändigen.
»Ja, natürlich. Bis heute Nachmittag, wenn Ihr Unterricht beendet ist? Oder bis Ihre Eltern Geld geschickt haben?« Sie sagte das so freundlich und selbstverständlich, dass er sich nicht gekränkt fühlen musste.
»Nein, es wird etwas länger dauern«, erklärte Felix mit ernster Miene. »Und ich möchte Ihnen für diese Zeit auch mein Herbarium überlassen. Ich sehe, Sie haben die Galmeiflora gerahmt und aufgehängt.«
Nun lächelte er ein etwas trauriges Lächeln und deutete auf die gelbe Blüte an der Wand hinter dem Ladentisch. »Das macht den Raum wirklich hübscher. Hier, nehmen Sie sie alle. Falls ich nicht wiederkomme, gehören sie Ihnen. Machen Sie mir die Freude!«
»Das kann ich nicht annehmen. Und was heißt: Falls Sie nicht wiederkommen? Wollen Sie Ihre Studien abbrechen?«, fragte Jette bestürzt.
Sie wusste inzwischen nicht nur, dass Felix’ Eltern alle Hoffnungen in die Ausbildung ihres Sohnes steckten, sondern auch, dass er zu Werners begabtesten Schülern zählte.
Verlegen rückte Felix die Brille auf dem Nasenrücken zurecht, und nun endlich übernahm sein sonst so wortgewaltiger Freund das Reden.
»Wir haben uns entschlossen, uns einem Freikorps anzuschließen. Ich musste ein bisschen auf ihn einreden, aber nun ist auch der Kleine mit ganzem Herzen dabei.«
»Und Ihre Eltern …?«, stammelte Jette verblüfft.
»Ich werde es ihnen nicht sagen«, erklärte Felix mit ungewohnt fester Stimme. »Der Professor hat uns zugesichert, dass wir jederzeit unsere Studien wieder aufnehmen können, wenn wir zurückkehren. Falls nicht … dann müssen sie nicht mehr für mich aufkommen. Und Sie, Fräulein Henriette, werden vielleicht ab und zu an mich denken, wenn Sie im Herbarium blättern.«
Er sagt das so, als teile er schon seine Hinterlassenschaft auf, als rechne er fest damit zu sterben, dachte Jette bestürzt. Sie konnte sich nicht vorstellen, was den schüchternen jungen Mann zu diesem Entschluss getrieben haben könnte. Doch er schien vollkommen ruhig und gefasst.
Deshalb sagte sie ebenso fest: »Ich werde es hier für Sie aufbewahren. Bis zu Ihrer Rückkehr.«
Richard begann, ihren Entschluss zu erklären, und diesmal hatten seine Worte nichts von der üblichen Prahlerei.
»Die Lage wird langsam bedrohlich für die preußisch-russischen Alliierten. Marschall Ney marschiert mit einer ganzen Armee gegen Berlin. Und sehen Sie die gewaltigen Ströme von Truppen, die Bonaparte Richtung Bautzen in Bewegung setzt?«, fragte er mit gerunzelter Stirn. »Das ist äußerst beunruhigend! Alles läuft darauf hinaus, dass dort eine große, vernichtende Schlacht geschlagen wird, noch gewaltiger und blutiger als die Anfang des Monats in Großgörschen. Napoleon hält sich für stark genug, gleichzeitig an zwei Fronten zu kämpfen und zu siegen. Es sieht sehr ernst aus für uns. Deshalb … Wenn wir jetzt nichts unternehmen, ist alles verloren.«
Nun lächelte er fast wieder so frech wie sonst. »Und da der Kleine keine militärische Ausbildung hat, um zu den regulären Truppen zu gehen, schließen wir uns einem Freikorps an.«
»Den Lützowern?«, fragte Jette.
»Das würden wir gern – schon, um Sie zu beeindrucken!«, versicherte Richard großspurig. »Aber die operieren gerüchteweise irgendwo im Harz; niemand hier weiß, wo sie stecken … Doch ganz in der Nähe Richtung Erzgebirge hat eine Freischar ihre Streifzüge aufgenommen, preußische Husaren unter einem Rittmeister von Colomb. Als ich neulich zu Vermessungsarbeiten nach Marienberg musste, waren sie zwei Tage zuvor dort aufgetaucht und hatten sich zu erkennen gegeben. Für die Stadt muss es ein Fest gewesen sein, so begeistert empfingen die Leute sie. Nun dürften sie unterwegs Richtung Plauen sein. Wir werden sie finden. Mein Freund aus Anhalt-Köthen« – er hieb Felix auf die Schulter – »hatte ja einige Bedenken gegenüber Preußen. Aber dieser Colomb ist hier im Auftrag Blüchers und Gneisenaus. Und Blücher kann man trauen, findet sogar Felix.«
Jette vermochte sich durchaus vorzustellen, dass Richard sich bei solch einem Wagnis wohl fühlen könnte. Für ihn war das ein Abenteuer. Aber Felix?
»Denken Sie wirklich, dies ist der richtige Platz für Sie?«, fragte sie vorsichtig, um ihn nicht zu kränken.
Sie sorgte sich um ihn. Ob er überhaupt mit Waffen umgehen konnte? Und wie würde er damit
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