1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
zurechtkommen, wenn er jemanden töten musste? Welchen Schaden würde seine Seele nehmen?
Noch vor ein paar Wochen hätte sie den beiden gewiss zugejubelt, weil sie bereit waren, zu den Waffen zu greifen, um das Vaterland zu befreien. Doch nachdem sie selbst getötet hatte, erschienen ihr die Dinge nicht mehr so einfach.
Außerdem hielt sie es für wahrscheinlicher, dass Felix getötet wurde, bevor er einem anderen ernstlich etwas antun konnte.
Heute verabschieden sich alle zum Sterben von mir, dachte sie aufgewühlt und konnte die Tränen kaum zurückhalten. Erst Maximilian, dann Étienne, und jetzt auch noch diese beiden. Sie wollte nicht, dass einer von ihnen starb.
Niemand sollte sterben.
Doch Felix wirkte so entschlossen, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. »Der Augenblick ist gekommen, in dem jeder seinen Beitrag leisten muss«, sagte er.
Weil er den Kummer auf ihrem Gesicht sah, bemühte er sich darum, sie zu beruhigen. »Wir ziehen ja nicht in eine Schlacht! Wir werden im Hinterland der Franzosen agieren und dort so viel Schaden wie möglich anrichten: Kuriere abfangen, ihnen Proviant und Munitionstransporte abjagen, damit sie Nachschubprobleme bekommen. Nadelstiche nur, doch so helfen wir den regulären Truppen, die sich bei Bautzen sammeln.«
»Ich kann es kaum erwarten!«, versicherte Richard voller Stolz. »Wir brechen heute noch auf. Aber Felix bestand darauf, sich von Ihnen zu verabschieden. Und ehrlich gesagt, wollte ich mich auch gern ein wenig in Ihrer Bewunderung sonnen …«
»In ganz Sachsen sind Patrouillen unterwegs, die nach Fahnenflüchtigen suchen«, warnte Jette. Ihr Onkel hatte eine entsprechende Bekanntmachung veröffentlichen müssen. »Und die Freikorps sind von den Franzosen für gesetzlos erklärt worden; sie nennen sie Briganten, Räuber, und werden kurzen Prozess mit Ihnen machen.«
»Dazu müssen Sie uns erst einmal kriegen!«, prahlte Richard. »Wir haben die Einheimischen hinter uns, die werden uns nicht verraten. Außerdem soll dieser Husarenrittmeister ziemlich schlau sein.«
Nun beugte er sich über den Ladentisch wie zuvor Étienne und lächelte sie an. »Geben Sie uns Ihren Segen, bevor wir losziehen, um dem deutschen Vaterland zu dienen?«
»Gott schütze Sie! Kehren Sie gesund zurück«, sagte Jette mit schwerem Herzen.
Felix legte einen Stapel von vielleicht fünf oder sechs Briefen auf den Ladentisch und nahm allen Mut zusammen. »Ich habe noch eine Bitte an Sie, Fräulein Henriette. Das sind Briefe an meine Eltern. Würden Sie bitte alle zwei Wochen einen davon an sie abschicken?«
»Sie sagen Ihren Eltern nicht, dass Sie sich freiwillig melden, und lassen sie glauben, Sie studieren hier weiter fleißig bei Professor Werner?«, fragte Jette bestürzt.
»Ja. Ich möchte nicht, dass sie sich um mich sorgen. Sie haben genug Kummer.«
Felix wirkte sehr erleichtert, als Henriette ihm das Versprechen gab, immer am ersten und dritten Montag des Monats einen Brief abzusenden.
»Ich werde jeden Tag an Sie denken!«, versprach er, als er schon an der Tür stand. Sie lächelte ihm mühsam zu und sah den beiden nach, bis sie in die Domgasse einbogen und damit aus ihrem Blickfeld verschwanden.
Vorwürfe und Fragen
Freiberg, 13 . Mai 1813
E s war noch nicht viel Zeit nach dem Weggang der Studenten vergangen, als Johanna Gerlach aufgeregt in die Buchhandlung stürzte.
»Jette, Liebes, der Seconde-Lieutenant muss ins Feld, und er und sein Vater bestehen darauf, dass wir uns von ihm verabschieden. Du auch. Also schließ die Tür ab und komm mit. Nur für einen Moment.«
Ein Schrecken durchfuhr Henriette angesichts dessen, was nun vielleicht geschehen würde, und ihre Knie wurden butterweich.
Vor dem Haus standen die Männer abmarschbereit, die mit dem jungen Offizier aufbrechen würden; Karl hielt Étiennes gesatteltes Pferd, das wegen des bevorstehenden Aufbruchs schnaubte und stampfte, und redete beruhigend auf es ein.
»Mach mir keine Schande, Junge!«, mahnte der Major, bevor er seinen Sohn kurz umarmte.
»Sorgen Sie sich nicht, Vater. Ich werde treu meine Pflicht erfüllen«, erwiderte Étienne.
Danach verabschiedete er sich mit einem kurzen Dank und einem Nicken von den beiden Gerlachs. Jette wurde mit jedem Augenblick unruhiger. In ihrem Magen schien auf einmal ein riesiger Stein zu liegen, und sie stand starr auf ihrem Platz, unfähig, sich zu rühren oder ein Wort zu sagen.
Doch Étienne übernahm seine Rolle in dem verabredeten Schauspiel mit der
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