1830 - Der Tod lässt grüßen
er sich besorgt, den Mann aber nicht vorher angerufen. Er hatte ihn überraschen wollen.
Er wollte schon zum Telefon greifen, als etwas anderes geschah. Vor ihm zog jemand die Haustür auf. Harry Stahl war davon so überrascht, dass er einen Schritt zurückging. So konnte der Mann an ihm vorbeigehen, ohne ihn zu berühren.
Er tat es auch. Plötzlich bekam Harry keine Luft mehr. Etwas hatte ihn gestoppt. Er spürte einen Hauch, der ihn gestreift hatte. Die Haut in seinem Nacken zog sich zusammen. Er spürte, dass seine Knie für einen Moment weich geworden waren. Ein seltsamer Schwindel hatte ihn erfasst. Das klare Denken war ihm für einen Moment genommen worden. Er musste sich zwingen, dagegen anzukämpfen, und als er es geschafft hatte, war der junge Mann verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Tief holte Harry Stahl Luft.
Puh, was war das denn gewesen? Er hätte es als einen Angriff ansehen können, was es aber nicht war. Eher ging er davon aus, dass man ihn aus dem Konzept hatte bringen wollen. Das war auch eine Möglichkeit.
Aber warum? Warum gerade er und warum gerade hier?
Plötzlich schoss es wie ein Strom durch seinen Kopf. Was ihm soeben passiert war, das musste mit dem zusammenhängen, weshalb er hier war. Und plötzlich rann es kalt seinen Rücken hinab.
Wusste die andere Seite Bescheid? Hatte sie dem Bruder des Toten eine Falle gestellt?
Harry hoffte es nicht, aber es war auch nicht von der Hand zu weisen. Dass er die Tür nicht wieder hatte zufallen lassen, war klar. Er wollte nicht noch mal versuchen, durch Klingeln auf sich aufmerksam machen zu müssen.
Vielleicht war das gar nicht mehr möglich. Als ihm dieser Gedanke kam, spürte er einen harten Druck im Magen. Ihm wurde etwas schwindlig, und er war froh, sich an der Tür festhalten zu können.
Harry suchte nach einem Grund und fand ihn in der Existenz des Mannes, den er hatte aus dem Haus gehen sehen. Ja, das musste es sein.
Die Augen!
Plötzlich dachte er an die Augen, die er für einen kurzen Moment gesehen hatte. Es war ein böser, ein brennender und auch gnadenloser Blick gewesen, der ihn getroffen hatte. Da war er für einen Moment von der Rolle gewesen und hatte sich hilflos gefühlt.
Und jetzt?
Plötzlich überkam ihn eine Angst, die einem anderen galt. Frank Decker. Harry wollte so schnell wie möglich hoch in den zweiten Stock. Er hätte den Aufzug nehmen können, aber darauf verzichtete er. Der Beginn der Treppe lag in Sichtweite.
Harry spürte sein Herzklopfen. Er war nervös. Er konnte den Gedanken an die Begegnung mit dem Mann vorhin nicht abschütteln. So etwas hatte er noch nie erlebt.
In der zweiten Etage angekommen, stoppte er. Hier hatte alles seine Ordnung. Es gab die beiden Türen und auch die Schilder mit den Namen der Mieter.
Auf einem Schild stand Frank Decker.
Harry schellte und richtete sich darauf ein, bald dem Mieter gegenüber zu stehen. Das traf nicht zu. Es öffnete niemand.
Auch mit dem zweiten Versuch erzielte er keinen Erfolg. Dann schaute er sich die Tür an. Sie sah sehr stabil aus, und sein Gefühl sagte Harry, dass er in die Wohnung hinein musste.
Aufbrechen lassen? Es selbst versuchen oder …?
Hinter ihm wurde plötzlich die zweite Tür auf der Etage geöffnet, und er wurde von einer Frauenstimme angesprochen.
»Wollen Sie zu Frank Decker?«
»Ja, das hatte ich vor.«
»Da muss ich Ihnen sagen, dass er wohl nicht öffnen will, mein Herr.«
»Woher wissen Sie das?«
»Er ist in seiner Wohnung.«
»Und Sie wissen das genau?«
»Ja, er hatte Besuch. Danach ist er nicht mehr weggegangen. Das hätte ich gesehen.«
»Stehen Sie immer an der Tür und beobachten?«
»Nicht immer, aber manchmal. Zudem habe ich gute Ohren.«
Harry sah sich die Frau näher an. Sie war älter, recht klein und trug einen geblümten Kittel. In ihrem runden Gesicht fiel die kleine Nase auf.
»Das ist schlecht«, murmelte Harry.
»Ist es denn wichtig?«
»Sehr wichtig.« Harry hob die Schultern. »Ich will ja nicht einbrechen, aber ich muss unbedingt mit ihm reden.«
»Aha. Sie sprechen so wie die Polizisten im Fernsehen.«
Sofort hatte Harry die große Idee. »Sie werden es kaum glauben, aber ich bin Polizist.«
»Nein …«
»Doch.« Harry lächelte und zeigte seinen Ausweis. Der hatte zwar mit dem eines normalen Polizisten nichts zu tun, er hoffte trotzdem, dass er die Frau damit beeindrucken konnte.
Das war der Fall.
Sie schaute hin, zwinkerte einige Male, dann atmete sie tief durch
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