1867 - Der TraumtÀnzer
geflucht, über ihre eigenartige Mischung aus Intelligenz und Naivität.
Saedelaere schenkte Dreur keine Beachtung mehr. Ob der Philosoph den oberen Rand des Hangs mittlerweile erreicht hatte? Er konnte es nicht sagen, weil er mit stumpfem Blick geradeaus stolperte.
Über einen Paß erreichte er einen schroff gegrateten Abhang. Erblieb kurz vor der Kante stehen und schaute nach unten. Zwei Schritte noch, und er würde hundert Meter senkrecht in die Tiefe stürzen.
Die Kante wirkte an manchen Stellen wie vom Lineal gezogen. Ihm wurde klar, daß ein Teil des Berges verschwunden war. Die fehlende Materie hatte sich im Hyperraum aufgelöst, als die Hohlwelt entstanden war.
Man hatte einen wunderbaren Blick, über verquer zusammengesetzte karstige, leblose Landschaft.
Errechnete sich zu diesem Zeitpunkt keine Chance mehr aus, daß er die Blase lebendig verlassen konnte.
Es existierte keine Möglichkeit, in der Galaxis über die Drohung der 52 Kleinen Mütter zu berichten.
Die Milchstraße maßte es ohne ihn schaffen. Wenn er etwas tun konnte, dann hier und jetzt. Er konnte die An= zahl reduzieren, von 52 auf 51, das zumindest, auch wenn es ihm sehr wenig schien.
Sofort.
Alaska Saedelaere trat an den Felsenrand. Dann fing er zu schreien an.
*
Dreur hatte fürchterliche Schmerzen, als erden Hang hinabstürzte. Ein Teil seines Gesichtes wurde weggerissen. Er spürte jedoch, daß die Wunde nicht tödlich sein würde, und konzentrierte sich darauf, die Rutschpartie in günstige Bahnen zu lenken.
Saedelaere! Der Sturz war kein Zufall, sondern ein Hinterhalt.
In welchem Zustand der Terraner sich befand, schien egal zu sein. Er war kein Opfer, sondern immer noch ein Gegner. Saedelaere war im Kampf gegen Jenseitsdreur unterlegen, er war durch den Hyperraum gestürzt, und er hatte einen gebrochenen Arm, und trotzdem kämpfte er noch. Dreur empfand widerwillige Bewunderung.
Als er nach dem Sturz hochkam, zur Hälfte betäubt, sah er die Waffe in Saedelaeres Hand. Es war ein Messer.
Er hatte Angst vor dem scharfen Gegenstand.
Über den Hang arbeitete er sich nach oben. Obwohl die Distanz zwischen ihm und dem Terraner so gering geworden war, schaffte er es, sich in Sicherheit zu bringen. Saedelaere mit seinem gebrochenen Arm konnte ihm nicht folgen.
Dreur erreichte den Pfad, der den oberen Rand des Hangs begrenzte. Von einem Stein, der fest in der Halde verankert war, schaute er nach unten.
Saedelaere war nicht mehr zu sehen. Ihm war das recht, so gewann er ein paar Sekunden Atempause. Er hätte nie gedacht, daß es einem so schwer verwundeten Terraner gelingen könnte, ihn in Bedrängnis zu bringen.
Ihm wurde mehr denn je bewußt, daß er es mit einem besonderen Wesen zu tun hatte. Fast bedauerte Dreur die Tatsache, daß der andere mit der Geburt der Kleinen Mutter untergehen maßte.
Nach einer Weile nahm Dreur wieder die Verfolgung auf. Es schien ihm sicher, daß Saedelaeres Widerstand nun gebrochen war. Er wußte nur nicht, ob das für seine Zwecke günstig war.
Der Terraner wanderte, ohne anzuhalten.
Die Zielstrebigkeit, mit er vorging, ließ Dreur von neuem unruhig werden. Er pumpte seine Kräfte durch den Tunnel zum Jenseitsdreur, so schnell er konnte.
Saedelaere hielt mit einemmal an. Dreur fühlte den Ruck, mit dem er stehenblieb.
Mit raumgreifenden Schritten näherte er sich dem Standort des Terraners. Es dauerte keine fünf Minuten, dann hatte er den Vorsprung aufgeholt.
Als er um die letzte Felsenecke bog, stand Saedelaere vor einem bodenlosen Angrund. Der Terraner ließ keinen Zweifel daran, daß er springen wollte.
Es wäre das Ende gewesen. Dreur mußte unbedingt verhindern, daß es geschah. Nur: Wie sollte er Saedelaere von der Kante fortlocken?
Er wußte nicht, ob Jenseitsdreur bereits stark genug war, den Terraner zu überwältigen. Aber darauf kam es auch nicht an. In dem Moment, da sein Zwilling zuschlug, kam es zu einem inneren Kampf. Saedelaere würde zusammenbrechen, und die Chance, daß er dabei über die Felsenkante stürzte, stand fünfzig zu fünfzig.
Plötzlich hörte er den schlaksigen Terraner schreien: „Hör zu, Dreur! Ich weiß genau, daß du irgendwo da draußen steckst! Ich weiß, daß du mich hören kannst!"
Die Stimme klang schrill, atemlos, holprig. Sie schien mit jeder Silbe an Kraft zu verlieren.
Er nahm verblüfft zur Kenntnis, daß Saedelaere ihn offenbar noch nicht bemerkt hatte. Aber das war eigentlich kein Wunder, denn der andere besaß nur zwei Augen
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