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188 - Der lebende Nebel

188 - Der lebende Nebel

Titel: 188 - Der lebende Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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französischer Akzent trat hervor: »Isch kann es niescht mä’r aus’alten…«
    Rulfan packte ihn, um ihn wieder auf den Klappstuhl zu setzen, doch kaum hatte Victorius die Wende gemacht, als ihm wieder schlecht wurde und die Prozedur von neuem anfing.
    Obwohl es taghell war, krabbelte Titana aus ihrem Netz und kreiste aufgeregt um das Haupt ihres Herrn. Spürte sie die Pein telepathisch, die dem Prinzen zu schaffen machte?
    Dass die beiden in mentaler Verbindung standen, hatte Rulfan mehr oder weniger akzeptiert. Dass die Fledermaus jedoch intelligent war, konnte er schwerlich glauben – auch wenn Victorius oft mit ihr redete.
    »Oh, meine geliebte Liwán«, stöhnte Victorius. »Ich bin entführt worden…«
    »Liwáns Brüder hätten dich zu Hackfleisch verarbeitet, wenn ich dich nicht rausgeholt hatte«, erwiderte Rulfan leicht verschnupft. »Sie haben den Sheriff von Deadwood und den Türsteher getötet – und die Köchin!« Er erzählte, was im Gasthof passiert war und dass Kaoma Saleh und seine Leute ihnen bis zur Roziere gefolgt waren. »Die Brüder deiner geliebten Liwán haben nur eins im Sinn: Fremde abzuschlachten!«
    »Dabei ist man in diesen Breitengraden doch immer nur hinter Bleichgesichtern her«, gab Victorius ungehalten zurück.
    »Ich bin schwarz! Mich hätten sie verschonen müssen!«
    »Du redest Unsinn«, fauchte Rulfan. »Glaubst du wirklich, dass diese Schurken zwischen Weiß und Schwarz unterscheiden? Außerdem wäre aus Liwán und dir ohnehin nichts geworden! Ihr Bruder Kaoma ist nämlich der Ansicht, dass sich alle Angehörigen einer Familie nach deren Oberhaupt zu richten haben.«
    »Eine dämliche Philosophie«, schnaufte Victorius. »Bei uns würden sich die Kinder darüber kaputtlachen!« Er tapste zur Hängematte und wuchtete sich hinein. Eine Minute später wurde ihm wieder übel. Rulfan stützte ihn, bis er am Fenster stand.
    Dies wiederholte sich in der nächsten halben Stunde sechs Mal, sodass Victorius schließlich am Fenster stehen blieb.
    Rulfan konnte sich unterdessen vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten, doch er kümmerte sich um die Feuerung, den Kessel und den Kurs.
    Stunden später, als die Sonne den höchsten Punkt am Himmel erreicht hatte, sah er die ersten Ausläufer des riesigen Kontinents, der früher Australien geheißen hatte. Viele der Inseln waren winzig. Die zahllosen grünen Tupfer wirkten fast wie die bewaldeten Gipfel unterseeischer Berge.
    Rulfan gähnte. Victorius bejammerte nun den Zustand der Welt – den grauen Himmel, das graue Meer und die grauen Vögel. Außerdem beweinte er seine verlorene Liebe – Liwán die Schöne. Ihre Brüder, murmelte er vor sich hin, mussten ungeliebte Kinder sein. Nur deswegen hatten sie sich zu Messerstechern entwickelt.
    Ja, dachte Rulfan müde. Böse Menschen brauchten Liebe…
    Was erwartete sie in Australien? Wie lagen dort die Machtverhältnisse? Gab es eine Zivilisation?
    Wer war die geheimnisvolle Macht, deren Ruf Victorius folgte? Welche Ziele verfolgte sie? Rulfan hatte Victorius gefragt, doch der junge Mann hatte ihm keine Antwort geben können. Außerdem wusste er nichts über den gegenwärtigen Zustand der außerafrikanischen Welt.
    Einige Ballonpiloten aus der Flotte seines Vaters waren zwar in den südeuropäischen Raum vorgedrungen, hatten aber angesichts der kriegerischen Barbaren darauf verzichtet, mit den dort lebenden Menschen Kontakt aufzunehmen.
    »Wozu braucht euch diese Macht?«, hatte Rulfan seinen Freund gefragt.
    Die Antwort: Achselzucken. Und: »Wenn ich ihr begegne, werde ich es erfahren.«
    Nun ja. Telepathen gab es überall auf der Welt. Die wenigstens setzten ihre Gabe für karitative Zwecke ein. Die meisten nutzten sie, um Vorteile über andere Menschen zu erringen. Man konnte sicher nicht automatisch davon ausgehen, dass alle nach Australien reisenden Telepathen am Ende auch bereit waren, in die Dienste dieser Macht zu treten.
    Fragt er sich eigentlich nicht, ob diese gottverdammte Macht etwas Gutes oder Böses im Schilde führt?
    »Folgendes«, hörte er Victorius seufzen. »Die Macht stellt ein Heer auf, das für das Gute kämpfen soll.«
    Er hat meine Gedanken gelesen!
    »Sie sind mir zugeflogen«, stöhnte Victorius. »Ich kann mich nicht abschirmen. Meine Kräfte schwinden…« Seine Hände lösten sich vom Fensterrahmen. Er sank zu Boden.
    Rulfan ließ das Ruder los, sprang zu seinem Begleiter hin und beugte sich über ihn. Victorius war bewusstlos und schnarchte wie

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