188 - Der lebende Nebel
sich fast verschluckte. »Außerdem habe ich den Schwarzen Henker des Fischgottes gesehen! Er schläft am Bachufer, nicht fern von unserer Dschunke. Und damit nicht genug: Auch der Weiße Folterknecht ist im Dschungel unterwegs!«
Wagong stierte ihn an. Auch Vetter Abdul verhehlte nicht, dass er Sampang für gestört hielt.
»Er hat mich verfolgt…« Sampang ruderte aufgeregt mit den Armen. »Ich habe meinen Säbel verloren.«
»Wer hat dich verfolgt?« Wagong setzte eine fragende Miene auf.
»Der Weiße Folterknecht! Als ich den Schwarzen Henker fand, biss mir sein fliegender Hund in die Nase. Ich habe geschrien, da hat er mich wohl gehört.« Sampang fasste an seine Nase. Sie kam ihm geschwollen vor. »Sieht man es nicht?«
Sein Bruder und sein Vetter schauten sich an. »Ein fliegender Hund?« Wagongs Stirn furchte sich. »Er hat dich in die Nase gebissen?«
Sampang war verzweifelt. Warum glaubte ihm denn niemand? Wieso taten immer alle so, als sei er ein Trottel, der Dinge sah, die es gar nicht gab?
Er fragte sich gerade, ob er es aufgeben sollte, die beiden überzeugen zu wollen, als es hinter ihm raschelte. Wagong und Abdul wandten sich einem Mann zu, der gerade aus dem Busch kam.
Auch Yang war ein Vetter. Er war der Steuermann der Dschunke, bei Frauen und Froditen beliebt und für seine scharfen Augen bekannt.
»Ich habe gehört, was dein Bruder über den Weißen erzählt hat, o Wagong«, sagte Yang ehrerbietig. »Und ich muss seine Worte bestätigen.«
»Was?!« Wagong riss die Augen auf und schaute Sampang an.
Sampang atmete tief ein und blies voller Stolz seinen Brustkorb auf.
»Natürlich weiß ich nicht, ob der Fremde von irgendeinem Fischgott geschickt wurde«, schränkte Yang ein. »Ich war zur Dschunke unterwegs und wollte einen neuen Fixator für den Gärungskolben holen, da sah ich Sampang aus dem Wald kommen. Ich habe ihn nicht angerufen, weil ich den Weißen schon eine ganze Weile vor ihm bemerkt hatte und nicht auf uns aufmerksam machen wollte. Es war auf der Dschunke und kramte an Deck in den Kisten herum.«
Wagong schaute zwischen Sampang und dem Steuermann hin und her. »Dieser… Folterknecht?«
»Nach meiner Meinung ist es nur ein seltsam aussehender Mensch, aber aus Fleisch und Blut wie wir«, sagte Yang.
»Und der Schwarze Henker des Fischgottes und sein fliegender Hund?«, warf Sampang aufgebracht ein. »Sind sie etwa auch nur Menschen?«
»Ich habe keinen Schwarzen Henker gesehen.« Yang zuckte die Achseln. »Und auch keinen fliegenden Hund.« Er schaute Sampang zweifelnd an.
Sampang drohte zu verzweifeln. »Hast du denn wenigstens das Summen gehört, Vetter?«
»Das Summen?«, fragte Wagong nervös. »Was denn für ein Summen?« Sampang wusste, dass er einen guten Grund hatte, nervös auf dieses Wort zu reagieren.
»Ich habe es nicht nur gehört«, erwiderte Yang. »Ich habe den Schwarm sogar gesehen. Es sind Grindrim-Mücken. Ich bin mir ganz sicher.«
»Grindrim-Mücken? Hier?« Wagong erbleichte. »Auf Adelee?« Er war hochgradig allergisch gegen diese Insekten.
Ein Stich machte ihn zum Streuselkuchen, dann rotzte und hustete er sich immer halb zu Tode.
Aus diesem Grund wurde der Likör auch nicht dort gebrannt, wo die Mücken heimisch waren, sondern auf Adelee.
Nur wenige Menschen waren gegen die Biester immun. Die Familie bezahlte sie gut, damit sie die Mücken ernährten und ihr Sekret stahlen. Nur die Familie wusste, dass das Sekret der Grindrim-Mücke der wesentliche – süchtig machende –Bestandteil des Getränks war.
»Der Fremde hat sie mitgebracht«, sagte Yang mit finsterer Miene. »Er ist mit einem Ballon gekommen und nicht fern von der Bucht gelandet. Es müssen Milliarden sein. Sie bedecken sein ganzes Fahrzeug. Vielleicht ist es nun so schwer, dass es nicht mehr fliegen kann.«
»Der Götterwagen?«, fragte Sampang verdutzt.
»Ein Ballon?« Wagong wandte sich Yang zu und schenkte seinem Bruder keine Beachtung mehr.
Yang führte wortgewandt aus, es handele sich um einen
»Heißluftballon«.
»Wer ist der Fremde?«, fragte nun Abdul. »Etwa ein Spion, der unser Rezept stehlen will?«
»Es sind zwei«, warf Sampang ein, doch Yang schüttelte den Kopf und sagte, er hätte nur einen gesehen: den Weißen.
Sampang fühlte sich missachtet. Niemand nahm ihn ernst.
War Yang mit Blindheit geschlagen? Wie konnten diese bizarren Gestalten Menschen sein?
»Was sie auch sind«, hörte er Wagong sagen. »Wer seinen Fuß ungebeten auf unsere Insel
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