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189 - Die Regenbogenschlange

189 - Die Regenbogenschlange

Titel: 189 - Die Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Schwartz
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aufbäumte.
    Niemals hatte Nugur eine Frau gesehen, die während einer Geburt so wenige Laute des Schmerzens von sich gab. Es war nicht natürlich. Die Erschöpfung zeichnete ihr Gesicht, und die weißen Haare hingen in klebrigen Strähnen herab. Tjara wand sich Wehe um Wehe.
    Aber das Kind wollte nicht kommen.
    »Wir verlieren sie«, flüsterte Karingi. Ihr altes Gesicht wirkte müde und eingefallen. »Der Geist der Schlange wünscht das neue Leben nicht.«
    »Das kannst du nicht wissen. Hilf ihr.«
    Karingi legte ihre Hände auf den Bauch der Schwangeren.
    Sie betastete den unförmigen Leib. Ihre Augen weiteten sich.
    »Das ist mehr als ein Kind. Zwillinge gewiss.«
    In diesem Moment gab es ein Donnern, als würde die Kuppe eines Felsens über ihnen abgesprengt.
    Die Frauen schrien auf, während die Männer sich beschützend an sie drängten.
    Tjara öffnete die Augen und schrie.
    Karingi streckte die Arme aus, als das erste Neugeborene ihr entgegenkam. Es sollte nicht das Letzte sein. Karingi half der erschöpften Mutter und durchtrennte die Nabelschnur.
    Vier Kinder gebar Tjara in dieser Nacht. Zwei Jungen und zwei Mädchen. Es war die Aufsehen erregendste Geburt des Stammes. Viele Geschichten würden daraus entstehen, dessen war sich Nugur sicher.
    Schaudernd hielt er den Erstgeborenen, den die Frauen dürftig sauber gemacht und in ein Tuch gewickelt hatten, in den Armen. Zwei Frauen trugen die beiden Mädchen, ganz entzückt und verliebt in die sonderbaren Geschöpfe, die so anders waren als gewöhnliche Menschen.
    Nugur blickte dem Kind auf seinen Armen in die Augen.
    Das Baby hatte sie offen, auch wenn es nichts zu sehen schien.
    Seine Augen waren die einer Schlange. Die kleinen Lippen teilten sich, und eine gespaltene Zunge glitt hervor, als wolle das Kind den Geruch des Regens schmecken, der nun rauschend vom Himmel fiel. Der Sturm hatte sich gelegt. Das Kind umfasste Nugurs Daumen fest mit dem kleinen Händchen. Die gespaltene Zunge strich über den winzigen Mund.
    »Yurlunggur«, flüsterte Nugur voll dunkler Vorahnungen.
    »Was hast du meinem Volk angetan?«
    Eine Antwort erhielt er niemals.
    ***
    Durangis Erzählung:
    Eines fernen Tages erklang der Ruf der Schlange, alle vom Stamm konnten ihn hören, und die Zwei mit demselben Mal wurden geboren, Mann und Frau, die ausersehen waren, das Ei zu bergen, und der Stamm bereitete sich auf die Reise vor.
    Aber sie versagten. Nur die Frau kehrte wieder, ohne das Ei, jedoch schwanger, und sie erklärte die Lira Aranda zu weiterhin Verfluchten, die noch nicht geläutert genug seien.
    Seit diesem Geschehnis war den Lira Aranda der Weg in die Traumzeit versperrt. Und Yurlunggur, über alle Maßen erzürnt, bäumte sich auf und fraß die Sonne, und die Dunklen Jahrhunderte brachen über die Welt herein. So beluden sich die Lira Aranda mit weiterer Schuld, den Untergang der Welt herbeigeführt zu haben.
    Seit einiger Zeit erklingt wieder der Ruf Yurlunggurs, stärker denn je, und er fordert sein Ei zurück, doch die Lira Aranda können ihm nicht folgen. Mit Schande behaftet, dürfen sie sich dem Uluru weiterhin nicht nähern.
    Aruula massierte ihre Handgelenke, als Durangi sie während seiner Erzählung von den Fesseln befreite. Sie strich sich das schwarze Haar aus der Stirn.
    »Durangi, ich glaube nicht, dass die Regenbogenschlange ihren Fluch noch aufrecht erhält«, sagte sie. Bei sich dachte sie, dass die Anangu von vornherein im Irrtum waren, denn die Welt wurde von Wudan bewahrt, nicht von einer Schlange.
    Doch das spielte momentan keine Rolle – sie wollte einen anderen Irrtum aufklären. »Ihr seid nicht die Einzigen, die den Ruf hören. Es ist nicht Yurlunggur, der euch ruft, sondern ein anderer. Denn ich kann den Ruf auch hören, und nicht nur ich… Viele Tausend andere auch, die im Geist anderer lauschen können. Es war auch nicht Yurlunggur, der die Sonne fraß, sondern ein großer Stein fiel vom Himmel, der viel Böses mit sich brachte.«
    »Das ist, was ihr euch zurechtlegt«, erwiderte Durangi.
    »Und natürlich weiß ich, dass du ein Lauscher bist. Wir sind es auch, jeder von uns. Aber wir haben gelernt, uns abzuschirmen, damit die Welt nichts von uns und unserer Schande weiß. Wir werden erst wieder in Erscheinung treten, wenn uns verziehen ist und wir in die Traumzeit zurückkehren dürfen.«
    »Und du glaubst irgendwie, dass ich euch dabei helfen kann?«, zog Aruula eine Schlussfolgerung. »Deswegen bin ich noch am Leben?«
    Durangi nickte.

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