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anderen am Kammergericht. Ein Vater ist sogar Anwalt in Ihrem Büro, Ms. Leven.«
»Richtig, Euer Ehren ... aber der Kollege ist mit dem Fall nicht betraut.«
Die Richterin blickte sie ruhig an. »Werden Sie meine Tochter als Zeugin aufrufen, Ms. Leven?«
Diana stockte. »Nein, Euer Ehren.«
»Nun, ich habe die Aussage meiner Tochter gelesen, und ich sehe keinen Grund, warum ich diesen Prozess nicht leiten sollte.«
Jordan überlegte rasch, was er bislang wusste: Peter hatte sich erkundigt, ob es Josie gut ging. Josie hatte den Amoklauf miterlebt. Josies Foto im Jahrbuch war das Einzige, unter dem die Worte LEBEN LASSEN gestanden hatten.
Aber laut ihrer Mutter hatte das, was Josie der Polizei gesagt hatte, keine Auswirkungen auf den Fall. Laut Diana wusste Josie nichts, was wichtig wäre, um sie zu einer Zeugin der Anklage zu machen.
Er senkte den Blick, während er diese Tatsachen wieder und wieder durchdachte, wie in einer Endlosschleife.
Die einfach keinen Sinn ergab.
In der behelfsmäßig eingerichteten Cafeteria der ehemaligen Grundschule, die als Ausweichquartier für die Sterling High diente, hatte Josie sich in einer Ecke auf ein paar mit Teppichboden ausgelegte Stufen zurückgezogen.
Als sie heute in die Schule kamen, warteten dort schon die Fernsehkameras. Sie mussten mitten hindurchmarschieren, um zum Eingang zu gelangen. Josie hatte sich gefragt, ob die Reporter gleich nach Schulbeginn zum Gericht rasen würden, um rechtzeitig zur Anklageverlesung dort zu sein. Sie fragte sich auch, wie oft die Medien wohl in Zukunft noch an der Schule auftauchen würden. Am Jahrestag des Amoklaufs? Zur Abschlussfeier? Würden sie in zehn Jahren über die Überlebenden des Massakers an der Sterling High berichten? Vielleicht unter dem Titel: »Was ist aus ihnen geworden?« Würde John Eberhard dann wieder gehen können? Würden Courtneys Eltern noch in Sterling wohnen? Wo wäre Josie dann?
Und Peter?
Ihre Mutter war Richterin bei seinem Prozess, und Josie war deswegen hin und her gerissen zwischen totaler Erleichterung und panischem Schrecken. Einerseits wusste sie, wenn ihre Mutter die Ereignisse des Tages zusammensetzen würde wie Puzzleteile, hätte das den Vorteil, dass Josie nicht selbst darüber reden
musste. Andererseits, wenn ihre Mutter erst mal damit anfing, die Ereignisse des Tages zusammenzusetzen, was würde sie dann noch alles herausfinden?
Drew kam in die Bibliothek. Als er Josie entdeckte, ging er zu ihr. »Wie sieht's aus?«, fragte er und ließ sich neben ihr nieder.
»Geht so.«
»Haben die Schakale dich erwischt?«
»Ich bin einfach mitten durchgelaufen.«
»Die sollen sich bloß alle verpissen«, sagte Drew.
Josie lehnte den Kopf gegen die Wand. »Ich wünschte, es würde alles wieder normal werden.«
»Vielleicht nach dem Prozess.« Drew wandte sich ihr zu. »Ist das nicht komisch für dich, mit deiner Mom und so?«
»Wir sprechen nicht drüber. Eigentlich sprechen wir über gar nichts.« Sie griff nach ihrer Wasserflasche und trank einen Schluck, damit Drew nicht merkte, dass ihr die Hände zitterten.
»Der ist nicht verrückt.«
»Wer?«
»Peter Houghton. Ich hab an dem Tag seine Augen gesehen. Der wusste haargenau, was er da machte.«
»Drew, sei still«, seufzte Josie.
»Stimmt aber doch. Scheißegal, was irgend so ein Staranwalt behauptet, um ihn freizukriegen.«
»Ich finde, das müssen die Geschworenen entscheiden, nicht du.«
»Verdammt noch mal, Josie«, sagte er. »Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet du ihn verteidigen würdest.«
»Ich verteidige ihn gar nicht. Ich erklär dir nur, wie unser Rechtssystem funktioniert.«
»Besten Dank. Aber irgendwie geht dir das ziemlich am Arsch vorbei, wenn sie dir eine Kugel aus der Schulter holen. Oder wenn dein bester Freund - der übrigens dein Freund war - vor deinen Augen verblutet-« Er stockte jäh, als Josie die Flasche aus der Hand rutschte und sie beide nass wurden.
»Tut mir leid«, sagte sie und fing an, die Pfütze mit einer Serviette aufzuwischen.
Drew seufzte. »Mir auch. Das alles geht mir einfach heftig an die Nerven, ich mein die Kameras und so.« Er riss ein Stück von der nassen Serviette ab, nahm es in den Mund und schnippte das Spuckekügelchen dann auf den Rücken des dicklichen Mädchens, das im Schulorchester Tuba spielte.
Oh Gott, dachte Josie. Es hat sich überhaupt nichts geändert. Drew riss wieder ein Stück Serviette ab und rollte es zwischen den Händen. »Hör auf!«, sagte
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