19 Minuten
sechsten März 2007 die Schülerin Madeleine Shaw vorsätzlich ermordet zu haben. Sie sind angeklagt, am sechsten März 2007 den Lehrer Edward McCabe vorsätzlich ermordet zu haben.«
»Sie sind des illegalen Waffenbesitzes angeklagt.«
»Besitz von Sprengstoffen.«
»Gesetzeswidriger Einsatz von Sprengstoffen.«
»Diebstahl von Schusswaffen.«
Als Alex fertig war, klang sie fast heiser. »Mr. McAfee«, sagte sie, »wie bekennt sich Ihr Mandant?«
»In allen Anklagepunkten nicht schuldig, Euer Ehren.«
Ein Raunen lief durch den Saal.
»Angesichts der Schwere der Anklage haben Sie kein Recht auf Freilassung gegen Kaution. Sie bleiben in Gewahrsam des Sheriffs.«
Alex vertagte die Verhandlung und ging ins Richterzimmer. Drinnen tigerte sie auf und ab wie eine Sportlerin nach einem
brutalen Rennen. Wenn es etwas gab, dessen sie sicher war, dann war das ihre Fähigkeit, fair zu urteilen. Aber wenn es schon bei der Anklageverlesung so schwer war, wie sollte sie dann funktionieren, wenn die Staatsanwaltschaft begann, die Ereignisse am lag des Amoklaufs detailliert zu schildern?
»Eleanor«, sagte Alex in die Sprechanlage, »streichen Sie alle meine Termine für die nächsten zwei Stunden.«
»Aber Sie -«
»Streichen Sie sie«, herrschte Alex sie an.
Alex zog ihre Robe aus und eilte die Hintertreppe hinunter zum Parkplatz. Doch anstatt dort eine Zigarette zu rauchen, stieg sie in ihr Auto. Sie fuhr auf schnellstem Weg zur Grundschule und hielt vor der Feuerwehrzufahrt.
Der einzige Mensch, der das Recht hatte, Alex zu bitten, dass sie den Vorsitz abgab, war Josie, aber Alex wusste, dass ihre Tochter es letzten Endes verstehen würde. Es war Alex' erster richtig großer Fall am Kammergericht. Es war für Josie selbst ein vorbildhaftes Beispiel, das ihr helfen würde, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Alex versuchte den letzten Grund zu ignorieren, aus dem sie den Fall unbedingt behalten würde, den Grund, der ihr wie ein Dorn im Fleisch saß und der bei jeder Berührung wehtat: Sie würde durch die Anklage und Verteidigung eher erfahren, was ihre Tochter durchgemacht hatte, als je von Josie selbst.
Sie ging ins Schulsekretariat. »Ich möchte meine Tochter abholen«, sagte Alex, und die Sekretärin schob ihr ein Formular hin, das sie ausfüllen sollte. SCHÜLER/IN, las Alex. ABWESEND VON/BIS. GRUND.
Josie Cormier , schrieb sie. 10.45 Uhr. Termin beim Kieferorthopäden.
Sie spürte den forschenden Blick der Sekretärin auf sich. Die Frau fragte sich bestimmt, wieso Richterin Cormier bei ihr im Büro stand und nicht im Gericht war. »Ich warte dann im Auto auf Josie«, sagte Alex und verließ den Raum.
Fünf Minuten später öffnete Josie die Beifahrertür und schob sich auf den Sitz. »Ich hab keine Zahnspange.« »Mir ist keine bessere Erklärung eingefallen«, antwortete Alex.
»Und warum bist du hier?«
Alex sah zu, wie Josie das Gebläse höher stellte. »Brauch ich einen Grund, wenn ich meine Tochter mal zum Lunch abhole?«
»Wir haben doch erst halb elf.«
»Dann machen wir eben einfach blau.«
»Von mir aus«, sagte Josie.
Alex fuhr los. Josie war einen halben Meter von ihr entfernt, aber sie hätten genauso gut auf verschiedenen Kontinenten sein können.
»Ist es vorbei?«, fragte Josie.
»Die Anklageverlesung? Ja.«
Wie sollte Alex erklären, was das für ein Gefühl gewesen war, die vielen namenlosen Mütter und Väter im Zuschauerraum zu sehen, ohne ein Kind zwischen ihnen? Wenn man sein Kind verlor, konnte man sich dann noch Mutter nennen?
Alex fuhr bis ans Ende einer Straße mit Blick über den Fluss, der wie immer im Frühjahr rasend schnell dahinfloss.
»Ich wollte dich sehen«, gestand Alex. »Heute waren Leute in meinem Gerichtssaal ... die jetzt wahrscheinlich jeden Morgen aufwachen und sich wünschen, genau das getan zu haben - einfach mal alles stehen und liegen lassen, um mit ihren Kindern zum Lunch zu gehen.« Sie sah Josie an. »Für diese Leute gibt es solche Tage nie mehr.«
Josie zupfte an einem losen weißen Faden und schwieg so lange, dass Alex sich schon innerlich dafür verfluchte, sich spontan von Mutterinstinkten hatte leiten lassen. Ihre Emotionen während der Anklageverlesung hatten Alex erschüttert, und anstatt sich am Riemen zu reißen, hatte sie ihnen nachgegeben. Aber so war das nun mal, wenn du das Herz auf der Zunge trugst, du liefst Gefahr, dich lächerlich zu machen.
»Blaumachen«, sagte Josie leise. »Kein Lunch.«
Alex lehnte sich
Weitere Kostenlose Bücher