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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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anderer seinerseits etwas Schlimmes tat und so weiter.
    Aber vielleicht geschehen schlimme Dinge ja auch deshalb, damit wir uns daran erinnern, wie das Gute aussehen sollte.

Stunden danach
    Einmal hatte Patricks beste Freundin Nina ihn gefragt, was das Schlimmste sei, das er je gesehen habe. Er hatte ehrlich geantwortet: Als er noch in Maine arbeitete, hatte ein Mann Selbstmord begangen, indem er sich mit Draht an den Eisenbahnschienen festband. Der Zug hatte ihn regelrecht zerfetzt. Alles war voller Blut und Leichenteile. Bei dem Anblick wurde selbst hartgesottenen Polizisten schlecht. Patrick hatte sich ein paar Meter entfernt, um seine Fassung zurückzugewinnen - und hatte plötzlich auf den abgetrennten Kopf des Mannes gestarrt, dessen Mund noch zu einem lautlosen Schrei geöffnet war.
    Das war nicht mehr das Schlimmste, was er je gesehen hatte.
    Noch immer strömten Schüler aus der Sterling Highschool, während Sanitäter das Gebäude nach Verletzten durchsuchten. Dutzende Schüler hatten bei der Massenflucht harmlosere Fleischwunden und Prellungen erlitten, zahllose andere hyper-ventilierten oder waren hysterisch, und noch mehr standen unter Schock. Aber Patrick achtete nur auf die Schussopfer, die von der Cafeteria bis zur Sporthalle auf dem Boden lagen, eine Blutspur, die den Weg des Amokschützen markierte.
    Die Alarmanlage schrillte noch immer, und die Sprinkleranlage hatte im Korridor einen regelrechten Fluss entstehen lassen. Unter dem Sprühregen beugten zwei Sanitäter sich über ein Mädchen, das eine Schusswunde an der rechten Schulter hatte. »Wir brauchen eine Rolltrage«, rief einer von ihnen.
    Patrick kannte das Mädchen. Sie jobbte in der Videothek. Letztes Wochenende, als er Dirty Harry ausgeliehen hatte, war sie auch da gewesen, wie jeden Freitag, wenn er eine DVD auslieh, aber er hatte sie nie gefragt, wie sie hieß. Wieso zum Teufel nicht?
    Der Sanitäter holte einen Stift hervor und malte dem wimmernden Mädchen eine »9« auf die Stirn. »Wir können nicht alle
    Verletzten identifizieren«, klärte er Patrick auf. »Deshalb num-merieren wir sie.« Während die Schülerin auf eine Trage gehoben wurde, schnappte Patrick sich eine gelbe Plastikschockdecke, die zur Ausrüstung eines jeden Streifenwagens gehört, und riss sie in kleine Stücke. Auf eines schrieb er eine »9« und platzierte es an der Stelle, wo das Mädchen gelegen hatte. »So wissen wir später, wer wo gefunden wurde.«
    Ein Sanitäter sah um die Ecke. »Im Hitchcock ist kein Bett mehr frei. Auf dem Rasen vor der Schule liegen noch reihenweise Verletzte, aber die Rettungswagen wissen nicht, wohin mit ihnen.«
    »Was ist mit dem Alice Peck Day?«
    »Auch voll.«
    »Dann rufen Sie in Concord an und sagen sie denen, die sollen sich bereit machen«, befahl Patrick. Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein Sanitäter, den er kannte - ein alter Hase kurz vor der Rente -, sich ein paar Schritte von einem auf dem Boden liegenden Körper entfernte und dann schluchzend in die Hocke ging. Patrick hielt einen vorbeikommenden Officer am Ärmel fest. »Jarvis, ich brauch Ihre Hilfe ...«
    »Aber Sie haben doch eben erst gesagt, ich soll in die Sporthalle, Captain.«
    Patrick hatte die Officer und Mitarbeiter der Kriminaltechnik auf verschiedene Bereiche der Highschool verteilt. Jetzt reichte er Jarvis die restlichen Stücke der Schockdecke und einen Stift. »Vergessen Sie die Sporthalle. Sorgen Sie dafür, dass an jeder Stelle, von der ein Verletzter mit Nummer abtransportiert wird, ein Stück Decke mit seiner Nummer hingelegt wird.«
    »Mir verblutet hier eine«, rief eine Stimme aus der Mädchentoilette.
    »Komme«, sagte ein Rettungssanitäter, griff seine Tasche und eilte davon.
    Überleg genau, ob du auch nichts vergessen hast, sagte sich Patrick. Du darfst dir keinen Fehler erlauben. Sein Kopf fühlte sich an wie aus Glas, zu schwer und zu dünnwandig, um so viele Informationen zu verkraften. Er konnte nicht überall gleichzeitig sein. Er konnte nicht schnell genug reden oder denken, um seine Leute dahin zu beordern, wo sie sein mussten. Er hatte keinen blassen Schimmer, wie er einen derartigen Albtraum verarbeiten sollte, und doch musste er so tun als ob, weil er nun mal das Sagen hatte und jeder von ihm das Richtige erwartete.
    Die Doppeltür der Cafeteria schloss sich hinter ihm. Das Team, das in diesem Raum arbeitete, hatte die Verletzten inzwischen abtransportiert. Nur die Toten waren noch da. Der Putz an den Wänden war an den

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