19 Minuten
nicht aus Joeys Schrank stammten. Es waren schicke Sachen, und er stellte sich vor, dass man so etwas zu Poloturnieren anzog, obwohl er noch nie auf einem gewesen war.
Peter schälte sich aus dem Overall und streifte die Boxershorts über, dann die Socken. Er setzte sich aufs Bett, um die Hose anzuziehen, die ihm ein bisschen eng in der Taille war. Das Hemd knöpfte er zuerst falsch zu und musste noch mal von vorn anfangen. Da er die Krawatte nicht binden konnte, rollte er sie zusammen und steckte sie in die Tasche.
Peter hatte keinen Spiegel in der Zelle, doch er vermutete, dass er jetzt ganz normal aussah. Wenn er sich in diesem Moment auf eine belebte New Yorker Straße beamen könnte, würde wohl niemand auf die Idee kommen, was für einer sich in diesen feinen Klamotten versteckte.
Nach all dem hatte sich nichts verändert.
Alex fragte sich, wie es wohl sein würde, als Zuschauerin im Gerichtssaal zu sitzen. Sie fragte sich, ob die trauernde Mutter von der Anklageverlesung da sein würde.
Als sie nach unten lief, sah sie Josie in Rock und Bluse am Küchentisch sitzen. »Ich komm mit«, erklärte sie.
Es war genau die gleiche Szene wie am Morgen der Anklageverlesung, nur dass das lange her war, so schien es ihr zumindest, und sie und Josie sich seitdem stark verändert hatten. Heute stand ihre Tochter auf der Zeugenliste der Verteidigung, aber sie hatte keine Zeugenladung bekommen, was bedeutete, dass sie eigentlich nicht im Gericht erscheinen musste.
»Ich weiß, dass ich nicht mit in den Saal darf, aber Patrick ist doch auch bei den wartenden Zeugen, oder?«
Das letzte Mal, als Josie darum gebeten hatte, mit zum Gericht zu kommen, hatte Alex rundweg abgelehnt. Diesmal jedoch setzte sie sich ihr gegenüber. »Kannst du dir vorstellen, wie das sein wird? Da sind jede Menge Kameras. Und Kinder in Rollstühlen. Und aufgebrachte Eltern. Und Peter.«
Josies Blick fiel wie ein Stein in ihren Schoß. »Du willst mich schon wieder davon abhalten hinzugehen.«
»Nein, ich will dich davon abhalten, verletzt zu werden.«
»Ich bin nicht verletzt worden«, sagte Josie. »Deshalb muss ich ja hin.«
Vor fünf Monaten hatte Alex die Entscheidung für ihre Tochter getroffen. Heute war ihr klar, dass Josie das Recht hatte, über sich selbst zu bestimmen. »Warte im Auto auf mich«, sagte sie ruhig. Als Josie die Tür hinter sich zuzog, rannte sie ins Bad und übergab sich.
Sie fürchtete, wenn Josie den Amoklauf erneut durchleben musste, selbst aus der Distanz, könnte sie das derart erschüttern, dass sie sich nie mehr davon erholen würde. Doch am meisten fürchtete sie, dass sie zum zweiten Mal unfähig wäre, ihre Tochter zu schützen.
Weil der Babysitter zu spät gekommen war, mussten Jordan und Selena sich nun durch die Menschenmenge auf der Treppe vor dem Gericht kämpfen. Selena hatte zwar mit einem Medienansturm gerechnet, doch auf diese Massen von Reportern, die Übertragungswagen und die Schaulustigen, die ihre Fotohandys hochhielten, war sie nicht gefasst gewesen.
Peter wurde durch einen unterirdischen Gang ins Gerichtsgebäude gebracht. Jordan musste vorbei an den Zuschauern, von denen die meisten aus Sterling kamen. »Wie können Sie nachts schlafen?«, rief eine Frau ihm zu. Eine andere hielt ein Schild hoch: Bei uns gibt es noch die Todesstrafe.
»Oh Mann«, sagte Jordan halblaut. »Das wird spaßig.«
»Du schaffst das«, erwiderte Selena.
Aber er war stehen geblieben. Auf den Stufen stand ein Mann, der zwei großformatige Fotos auf Plakatkarton geklebt hatte -eines von einem Mädchen und eines von einer hübschen Frau. Kaitlyn Harvey, dachte Selena, die das Gesicht wiedererkannte. Und ihre Mutter. Quer über den Fotos stand nur: NEUNZEHN MINUTEN.
Jordan sah dem Mann in die Augen. »Es tut mir leid«, sagte er leise. Selena hakte sich bei ihm ein und zog ihn weiter die Treppe hinauf.
Sein Mandant sah aus, als würde er jeden Augenblick umkippen. Jordan nickte dem Deputy zu, der ihn in die Wartezelle des Gerichts geführt hatte, und setzte sich. »Atme«, befahl er.
Peter nickte und füllte seine Lunge. Er zitterte. Jordan hatte damit gerechnet, hatte das immer wieder zu Beginn eines Prozesses erlebt. Selbst hartgesottene Kriminelle reagierten panisch, wenn ihnen klar wurde, dass es von nun an um alles oder nichts ging. »Ich hab dir was mitgebracht«, sagte Jordan und zog eine Brille aus der Tasche.
Sie war dick und aus Schildpatt, ganz anders als das leichte Nickelgestell, das Peter sonst
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